Was braucht Bildung zur nationalsozialistischen Geschichte heute? Welche Rolle spielt ein Förderprogramm wie die Bildungsagenda NS-Unrecht für unsere demokratische Gesellschaft? Wir haben bei Akteur:innen aus Politik und Gesellschaft nachgefragt.
Demokratien sterben nicht plötzlich, der Faschismus siegt nicht plötzlich. Demokratische Werte erodieren unter dem Druck ihrer Feinde. So geschah es in den dunkelsten Stunden Deutschlands und Europas, so geschieht es jetzt in Teilen Europas, und manche Entwicklungen in Deutschland selbst erinnern uns an diese dunkelsten Stunden. Bildung zum NS-Unrecht bedeutet das Ende sehen, um die Anfänge zu bekämpfen. Förderprogramme wie die Bildungsagenda NS-Unrecht sind wichtige Elemente, um die offene Gesellschaft zu verteidigen: Eine blinde Gesellschaft kann nicht offen sein und eine verschlossene Gesellschaft kann keine Demokratie leben. „Die Vergangenheit ist nicht tot, sie ist noch nicht einmal vergangen.“ William Faulkners Worte haben nichts von ihrer Bedeutung verloren. Unser Leben heute ist nicht von dem Vergangenen zu trennen. Unter uns leben Menschen, die von Nazis verfolgt wurden. Ihre Nachkommen leben unter uns und der Schmerz und die Traumata ihrer Eltern, Großeltern leben in ihnen. Ihnen zuzuhören ist wichtig: wichtig für diese Menschen, wichtig für uns. Ihnen zuzuhören kann uns helfen zu verstehen, wie stark und verletzlich unsere Demokratie gleichzeitig ist. Das Zuhören kann uns helfen, die Not der Verfolgten und Geflüchteten heute zu verstehen, vielleicht sogar nachzuempfinden
Dr. Mehmet Daimagüler, Beauftragter der Bundesregierung gegen Antiziganismus und für das Leben der Sinti und Roma in Deutschland
Das vom deutschen NS-Regime ausgegangene Unrecht, die auch heute noch unfassbaren Gräueltaten, die massenhafte Entrechtung und Ermordung jener, die nicht in die menschenverachtende Nazi-Ideologie passten, die industrielle Vernichtung von mehr als sechs Millionen jüdischen Kindern, Frauen und Männern: All dies ist schon über 80 Jahre her. Aus unserem gemeinsamen Gedächtnis schwindet das kollektiv begangene Unrecht immer weiter. Die Lehren, die wir als Gesellschaft aus dieser Zeit ziehen müssen, sind heute aber nicht weniger wichtig. Der Schutz der Menschenrechte und der Kampf gegen den Antisemitismus und alle Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit sind grundlegend für unser demokratisches Zusammenleben. Um das anhand der deutschen Geschichte lernen zu können, ist Bildung über das NS-Unrecht essenziell. Heute leben immer weniger Zeitzeugen, die davon berichten können. Innovative, interaktive und digitale Ansätze, Wissen über das NS-Unrecht zu vermitteln, sind daher besonders wichtig.
Dr. Felix Klein, Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus
Das sagen unsere Partner:innen und Projektbeteiligten über ihre Projekte in der Bildungsagenda NS-Unrecht
Wir dachten, dass die Erinnerungswerkstatt so ein kleines Projekt von der Schule ist, das dann auch schnell wieder vorbei ist. Aber dann kam noch ein Angebot. Erst wollte ich nicht hingehen, weil ich dachte, dass Theater immer langweilig ist. Aber Theater ist echt ganz cool und jedes Stück hat eine große Bedeutung. Ich würde gerne noch mal bei einem Theaterstück mitmachen, wieder gerne als Schauspieler, vielleicht zum Thema Krieg. Ich finde es spannend, darüber nachzudenken.
Marko Milun Brkic, Schauspieler im Stück „Time Busters“ der Münchner Kammerspiele
Wir wissen heute, dass es 1945 nicht die lange Zeit beschworene „Stunde Null“ gegeben hat. Dass es, im Gegenteil, sehr viele personelle Kontinuitäten gab, die dann natürlich auch strukturelle und ideologische Kontinuitäten mit sich gebracht haben. Gerade bei systemrelevanten Berufsgruppen ist wichtig, dass aus der Institution selbst heraus hinterfragt wird, ob organisatorische und institutionelle Formen demokratische Überzeugungen behindern oder sogar konterkarieren.
Dr. Elke Gryglewski, Projekt „Recht ist, was dem Staat nützt?“, Stiftung niedersächsische Gedenkstätten
Wenn wir das Thema „europäische Erinnerung“ ernst nehmen, dürfen wir den (post-)jugoslawischen Raum nicht vergessen, was leider noch viel zu oft geschieht. Die Besetzung Jugoslawiens 1941–1945 und die begangenen Verbrechen führten zu einer starken Widerstandsbewegung, der es dann auch gelang, das Land weitgehend selbst zu befreien.
Dr. Nicolas Moll, Projekt „Wer ist Walter?“, crossborder factory
Unternehmen können gleich auf mehreren Ebenen von dem Projekt profitieren: Die Verbreitung von Verschwörungsmythen und die pauschale Abwertung Andersdenkender wirken sich negativ auf das Arbeitsklima, das kollegiale Miteinander und die Motivation Einzelner aus. Ein geschärftes Auge für antisemitische Haltungen und Handlungen, Handlungs- und Sprechfähigkeit hingegen sind Grundvoraussetzungen für ein respektvolles und wertschätzendes Arbeitsumfeld und eine gelingende Unternehmenskommunikation – nach innen und nach außen.
Johanna Sokoließ, Leiterin des Projekts „Informiert, couragiert, engagiert! Eine gemeinsame Initiative gegen Antisemitismus“ der Stiftung EVZ