Antisemitismus und damit verbundene antisemitisch motivierte Übergriffe nehmen zu – in Deutschland, aber auch europaweit. Die Corona-Pandemie hat diese Entwicklung noch befeuert: Neue Verschwörungsnarrative ergänzen jahrhundertealte Mythen, Juden:Jüdinnen und als jüdisch markierte Personen werden im Netz und auf Demonstrationen angegriffen und beschuldigt, für den Ausbruch der Pandemie verantwortlich zu sein.
Antisemitismus oder Juden:Jüdinnen-Feindschaft stellt unsere Gesellschaft vor große Herausforderungen. Wie drängend das Problem ist, zeigt ein Blick in die Statistik: Im Jahr 2021 zählten deutsche Behörden 3.027 antisemitische Straftaten. Allein im Vergleich zum Vorjahr entspricht das einer Zunahme von knapp 29 Prozent, die Dunkelziffer wird rund dreimal so hoch geschätzt.
Definiert wird Antisemitismus von der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA), deren Einordnung die Stiftung EVZ und auch die deutsche Bundesregierung folgen, als „eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nichtjüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen (…). ”
Obwohl der Begriff Antisemitismus erst im 19. Jahrhundert geprägt wurde, reicht das Phänomen bis in die Antike zurück. Antijüdische Gesetze und Maßnahmen, Vertreibungen und Gewaltakte wie Pogrome – Angriffe auf Juden:Jüdinnen sowie jüdische Einrichtungen – prägten Teile des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Mit der Entstehung von antisemitisch ausgerichteten Parteien und aufkommendem Nationalismus erhielt der Antisemitismus im 19. Jahrhundert eine politische Komponente.
Im Nationalsozialismus entwickelte sich der Antisemitismus zur offiziellen Politik des Staates: Beginnend mit Wirtschaftsboykotten, antijüdischen `Rasse´-Gesetzen und Pogromen gipfelte die rassistisch-antisemitische Ideologie des NS in der systematischen Ermordung des europäischen Judentums. Schätzungen zufolge wurden sechs Millionen Juden:Jüdinnen vom NS-Regime und seinen Kollaborateur:innen getötet.
Obgleich die Zahl der antisemitischen Vorfälle in Deutschland seit 2015 kontinuierlich steigt, war die Covid-19-Pandemie ein Katalysator für den neuen besorgniserregenden Höchststand im Jahr 2021: Der Bundesverband Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) verzeichnete mit Inkrafttreten der verschiedenen Corona-Maßnahmen im Frühjahr 2020 einen drastischen Anstieg antisemitischer Mythen. In rechten Communities vermischte sich Antisemitismus mit neuen Verschwörungserzählungen über die "wahren“ Ursachen der Pandemie, die sich dabei immer weiter von der Realität entfernten.
Besonders auf den bundesweiten Demonstrationen von Coronaleugner:innen wurden diese Verschwörungsmythen offener denn je zur Schau getragen. Dies bestätigt auch die MEMO-Studie IV (2021) der Stiftung EVZ. 29,2 Prozent der Befragten stimmten der Aussage „eher“ oder „stark“ zu, dass es „geheime Organisationen“ gebe, die einen „großen Einfluss auf politische Entscheidungen haben.“
Auch im Kontext des Nahostkonflikts äußert sich Antisemitismus häufig, wenn z.B. antisemitische Narrative auf den Staat Israel projiziert werden oder Juden:Jüdinnen für israelische Politik verantwortlich gemacht werden.
"In dem Moment wo es im Nahen Osten eskaliert, eskaliert es am nächsten Wochenende bei uns auf den Fußballplätzen. Das kann man eins zu eins ablesen." Alon Meyer, Präsident Makkabi Deutschland (Quelle: Sportschau Bericht auf YouTube).
Antisemitismus hat tiefgreifende Auswirkungen auf die gesamte Gesellschaft, weil er demokratische Werte und Menschenrechte untergräbt und eine reale Bedrohung für Juden:Jüdinnen und Nicht-Juden:Jüdinnen darstellt, wie auch die Terroranschläge von Halle (2019) und Hanau (2020) zeigen. Seine Bekämpfung macht ein gemeinsames Engagement notwendiger denn je.
Bereits seit 2011 besteht die von der Stiftung initiierte, projektübergreifende und strategisch ausgerichtete Tagungsreihe „Blickwinkel. Antisemitismus- und rassismuskritisches Forum für Bildung und Wissenschaft". Mit wegweisenden Themen und aktuellen Befunden ist dies der Ort, an dem innovative Bildungsansätze diskutiert und diskurskritische Akzente gesetzt werden und so ein Austausch zwischen Wissenschaft und pädagogischer Praxis möglich wird.
Zum Themenjahr „1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ im Jahr 2021 förderte die Stiftung mit der Jugendkampagne #tsuzamen – Junge Perspektiven auf jüdisches Leben Projekte, in denen sich junge Menschen mit dem jüdischen Leben in Deutschland auseinandersetzen und dazu beitragen, es sichtbarer zu machen – und damit antisemitischen Stereotypen die Grundlage zu entziehen.
Darüber hinaus verfolgt die Stiftung in jüngerer Zeit, verstärkt durch die Zukunftsagenda, eine dezidierte Strategie strukturell und anchhaltig Antisemitismus zu bekämpfen. Im Cluster „Handeln gegen Antisemitismus, Antiziganismus und Rassismus“, das sich mit Ausprägungen von Antisemitismus an Schlüsselstellen von Staat und Gesellschaft heute auseinandersetzt und mit Partner:innen Gegenstrategien entwickelt, baut die Stiftung ihr Förderengagement in der Antisemitismusbekämpfung und -prävention weiter aus.
Auch Bündnisse mit jüdischen Communities und anderen von Diskriminierung betroffenen Gruppen leisten dazu einen wirksamen Beitrag. Diese Bündnisse knüpft und fördert die Stiftung EVZ.
Mit diesem Förderportfolio aus
ermutigt die Stiftung EVZ Zivilgesellschaften in ganz Europa, Antisemitismus mit konkreten Aktivitäten entgegenzutreten – für eine offene, plurale und solidarische Gesellschaft, in der jüdisches Leben selbstverständlich, erlebbar und sichtbar ist.