Antisemitismus und damit verbundene antisemitisch motivierte Übergriffe nehmen zu – in Deutschland, aber auch europaweit. Die Corona-Pandemie hatte diese Entwicklung schon befeuert: Neue Verschwörungsnarrative ergänzten jahrhundertealte Mythen, Juden:Jüdinnen und als jüdisch markierte Personen wurden im Netz und auf Demonstrationen angegriffen und beschuldigt, für den Ausbruch der Pandemie verantwortlich zu sein. Seit dem terroristischen Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober haben diese Angriffe auf erschreckende Weise zugenommen.
Antisemitismus oder Juden:Jüdinnen-Feindschaft stellt unsere Gesellschaft vor große Herausforderungen. Wie drängend das Problem ist, zeigt ein Blick in die Statistik: Im Jahr 2023 zählten deutsche Behörden 5.164 antisemitische Straftaten. Allein im Vergleich zum Vorjahr hat sich die Anzahl somit nahezu verdoppelt, wobei die Hälfte der Straftaten nach dem 7. Oktober 2023 erfasst wurden.
Definiert wird Antisemitismus von der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA), deren Einordnung die Stiftung EVZ und auch die deutsche Bundesregierung folgen, als „eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nichtjüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen (…). ”
Obwohl der Begriff Antisemitismus erst im 19. Jahrhundert geprägt wurde, reicht das Phänomen bis in die Antike zurück. Antijüdische Gesetze und Maßnahmen, Vertreibungen und Gewaltakte wie Pogrome – Angriffe auf Juden:Jüdinnen sowie jüdische Einrichtungen – prägten Teile des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Mit der Entstehung von antisemitisch ausgerichteten Parteien und aufkommendem Nationalismus erhielt der Antisemitismus im 19. Jahrhundert eine politische Komponente.
Im Nationalsozialismus entwickelte sich der Antisemitismus zur offiziellen Politik des Staates: Beginnend mit Wirtschaftsboykotten, antijüdischen `Rasse´-Gesetzen und Pogromen gipfelte die rassistisch-antisemitische Ideologie des NS in der systematischen Ermordung des europäischen Judentums. Schätzungen zufolge wurden sechs Millionen Juden:Jüdinnen vom NS-Regime und seinen Kollaborateur:innen getötet.
Mit dem terroristischen Angriff der Hamas und anderen Gruppierungen auf Israel am 7. Oktober 2023 mit über 1200 Todesopfern und mehr als 240 verschleppten Geiseln und dem anschließenden Militäreinsatz der israelischen Armee im Gazastreifen, ist der Nahostkonflikt wieder einmal in das Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit. Schon direkt im Anschluss wurde der terroristische Angriff von manchen Gruppen als Befreiungsaktion und legitimer Widerstand gefeiert. Jüdinnen:Juden auf der ganzen Welt erleben seitdem zunehmend antisemitische Anfeindungen, Übergriffe, Markierungen und Gewalt, wie auch der Bericht des Bundesverbands RIAS e.V. zeigt:
"In dem Moment, wo es im Nahen Osten eskaliert, eskaliert es am nächsten Wochenende bei uns auf den Fußballplätzen. Das kann man eins zu eins ablesen,“ sagt auch Alon Meyer, Präsident von MAKKABI Deutschland (Quelle: Sportschau Bericht auf YouTube).
Die Bedarfe der israelischen Zivilgesellschaft seit dem 7. Oktober 2023 sind hoch. Daher initiierte die Stiftung EVZ gemeinsam mit anderen Institutionen das Netzwerk Israel. Das Netzwerk sendet ein Zeichen der Solidarität aus der deutschen Gesellschaft an die israelische Zivilgesellschaft und unterstützt demokratische zivilgesellschaftliche Akteur:innen im Land. Antisemitismus hat tiefgreifende Auswirkungen auf gesamte Gesellschaften, weil er demokratische Werte und Menschenrechte untergräbt und eine reale Bedrohung für Juden:Jüdinnen und Nicht-Juden:Jüdinnen darstellt, wie auch die Terroranschläge von Halle (2019) und Hanau (2020) zeigen. Seine Bekämpfung macht ein gemeinsames Engagement notwendiger denn je.
Besonders an Hochschulen ist die Sicherheit von Jüdinnen und Juden gefährdet. Durch Besetzungen von Hörsälen und Boykottaufforderungen gegenüber israelischen Wissenschaftler:innen können Jüdinnen und Juden nicht mehr sorgenfrei ihrem akademischen Alltag nachgehen. Viele Universitäten sind angesichts der aktuellen Entwicklungen überfordert und reagieren unzureichend auf die Konfliktlage.
In der 8. Folge der EVZ Conversations haben wir dazu u.a. mit dem Historiker Dan Diner und der Präsidentin der Jüdischen Studierenden Union gesprochen. Die ganze Folge können Sie hier sehen.
Um Universitäten in dieser Auseinandersetzung zu unterstützen, fördert die Stiftung EVZ im Rahmen der ersten Ausschreibung im Förderprogramm „Strukturen schaffen gegen Antisemitismus“ auch die Filmuniversität Babelsberg und die Universität Würzburg im Aufbau von antisemitismuskritischen Strukturen.
Bereits seit 2011 besteht die von der Stiftung initiierte, projektübergreifende und strategisch ausgerichtete Tagungsreihe „Blickwinkel. Antisemitismus- und rassismuskritisches Forum für Bildung und Wissenschaft". Mit wegweisenden Themen und aktuellen Befunden bietet die Reihe einen Raum, um innovative Bildungsansätze zu diskutieren und diskurskritische Akzente zu setzen. So wird ein Austausch zwischen Wissenschaft und pädagogischer Praxis möglich.
Zum Themenjahr „1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ im Jahr 2021 förderte die Stiftung mit der Jugendkampagne #tsuzamen – Junge Perspektiven auf jüdisches Leben Projekte, in denen sich junge Menschen mit dem jüdischen Leben in Deutschland auseinandersetzen und dazu beitragen, es sichtbarer zu machen – und damit antisemitischen Stereotypen die Grundlage zu entziehen.
Darüber hinaus verfolgt die Stiftung EVZ in jüngerer Zeit, verstärkt durch ihre Zukunftsagenda, eine dezidierte Strategie strukturell und nachhaltig Antisemitismus zu bekämpfen. Im Cluster „Handeln gegen Antisemitismus, Antiziganismus und Rassismus“, das sich mit Ausprägungen von Antisemitismus an Schlüsselstellen von Staat und Gesellschaft heute auseinandersetzt und mit Partner:innen Gegenstrategien entwickelt, baut die Stiftung ihr Förderengagement in der Antisemitismusbekämpfung und -prävention weiter aus.
Auch Bündnisse mit jüdischen Communities und anderen von Diskriminierung betroffenen Gruppen leisten dazu einen wirksamen Beitrag. Diese Bündnisse knüpft und fördert die Stiftung EVZ.
Mit diesem Förderportfolio aus
ermutigt die Stiftung EVZ Zivilgesellschaften in ganz Europa, Antisemitismus mit konkreten Aktivitäten entgegenzutreten – für eine offene, plurale und solidarische Gesellschaft, in der jüdisches Leben selbstverständlich, erlebbar und sichtbar ist.