Eine Veranstaltungsreihe der Bildungsagenda NS-Unrecht
Seit 2021 fördert die Stiftung EVZ auf Initiative und mit Zuwendungsmitteln des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) im Rahmen der Bildungsagenda NS-Unrecht Projekte der historisch-politischen Bildungsarbeit, die sich den gesellschaftlichen und politischen Herausforderungen der Gegenwart stellen - in Deutschland und Europa. Ziel ist die geschichtsbewusste, aktivierende Vermittlung der Lehren aus der NS-Vergangenheit und die Sichtbarmachung von Erfahrungen der von Verfolgung Betroffenen.
Dabei bedienen sich die geförderten Projekte interdisziplinär und multiperspektivisch unterschiedlicher Formate und Ansätze: Partizipative Theater- und Ausstellungskonzepte, Archive und Bilddatenbanken zur NS-Geschichte, berufsgruppenorientierte Bildung gegen Diskriminierung, ortsspezifische Apps und Serious Games wie auch neue Wege der Erinnerung für Gedenkstätten schaffen Sichtbarkeit und fordern Auseinandersetzung ein, mit einem besonderen Augenmerk auf jüngere Generationen.
Mit der Veranstaltungsreihe „Education in Motion“ möchte die Stiftung EVZ die im Rahmen der Projekte gesammelte Expertise einem Fachpublikum und der interessierten Öffentlichkeit zugänglich machen und an aktuelle Diskurse anknüpfen. Geplant sind vier öffentliche Veranstaltungen im Jahr 2023 und 2024, welche im Format mit einführendem Keynote-Talk und anschließendem Fachgespräch auf dem Podium durchgeführt werden. Die vier Veranstaltungen repräsentieren dabei die vier inhaltlichen Cluster des Förderprogramms hinsichtlich ihrer Besonderheiten.
durchgeführt in Weimar in Kooperation mit dem Museum Zwangsarbeit im Nationalsozialismus
Im Mai 2024 wurde in Weimar das Museum Zwangsarbeit im Nationalsozialismus eröffnet. Es erzählt erstmals die Geschichte der NS-Zwangsarbeit in ihrem gesamten Ausmaß: als ein deutsches Massenverbrechen, welches ganz Europa betraf. Das Museum stellt sich – wie viele Projekte des Förderprogramms Bildungsagenda NS-Unrecht – der Frage, wie man dieses Verbrechen auch in seiner europäischen Dimension erinnern kann, ohne hierbei eine zweite Frage aus den Augen zu verlieren: Was geht mich das heute an? Angesichts einer neu erwachten Revision und Relativierung von NS-Verbrechen nicht nur in Deutschland sind beide Fragen hochaktuell.
Die Stiftung EVZ und das Museum Zwangsarbeit im Nationalsozialismus luden ein, mit den Podiumsgästen über diese Fragen zu debattieren. Eingeleitet wurde das Fachgespräch durch eine Keynote von Dr. Daniel Logemann (Leitung des Museums Zwangsarbeit im Nationalsozialismus), die die danach fragte, ob erfahrungsgeschichtliche und intergenerationelle Aspekte eine ritualisierte und politisch vereinnahmte Erinnerungskulturen herausfordern könnten.
Auf dem Podium ging es anschließend darum, inwiefern die Erinnerung an die NS-Zwangsarbeit den europäischen Dimensionen des Verbrechens gerecht wird, welche verschiedenen Formen der Auseinandersetzung sie einnehmen und wie sie sich dort durchsetzen kann, wo man die Erinnerung an das Verbrechen NS-Zwangsarbeit immer noch verdrängen oder marginalisieren will. Dabei wurden u.a. konkrete Erfahrungen der Projekte der Bildungsagenda NS-Unrecht eingebracht.
Diskutiert haben Dr. Michael Gander (Geschäftsführer Gedenkstätten Gestapokeller und Augustaschacht, Projekt „Von einem Ort des Jubels zu einem Ort des Unrechts“), Anke Heelemann (Künstlerin, Interventionen 2024: Zwangsarbeit in aller Öffentlichkeit), Dr. Nicolas Moll (Historiker & Projektleiter von „Wer ist Walter?“) und Dr. Daniel Logemann (Leitung des Museums Zwangsarbeit im Nationalsozialismus). Moderiert wurde die Veranstaltung von Jens Schley (wissenschaftliche Geschäftsführung Bildungsagenda NS-Unrecht, Stiftung EVZ).
durchgeführt in Berlin im Rahmen der Konferenz “Ctrl+Alt+Remember - Digital Remembrance today”
Social-Media-Plattformen, Apps, Games, Virtual und Augmented Reality haben auch in die Erinnerungskultur und historische Bildung Einzug gehalten. Diese technologischen Möglichkeiten sind jedoch nicht nur neue Formate, sie verändern auch die Erinnerungspraktiken. In sozialen Medien können User:innen beispielsweise Medien selbst, kostenlos und damit niedrigschwellig produzieren und verbreiten. Diese Vermischung der Nutzung und Bereitstellung von Content birgt Chancen und Risiken und wirft neue Fragen auf: Wie viel „Fiktion“ ist erlaubt, wenn man über historische Fakten und Biografien von realen Menschen erzählt? Ist alles, was technisch möglich ist, auch erinnerungskulturell sinnvoll?
Die Stiftung EVZ lud ein, mit den Podiumsgästen und uns über diese Fragen zu debattieren. Eingeleitet wurde das Fachgespräch durch eine Keynote von Ass.-Prof. Mag. Dr. Edith Blaschitz (Leitung des Stabsbereichs „Digital Memory Studies“ an der Universität für Weiterbildung Krems), die das Spannungsfeld zwischen digitalen Technologien und Authentizitätserwartungen ausmaß.
Auf dem Podium ging es anschließend darum, welche Praxiserfahrungen mit dem Einsatz virtueller Zeitzeug:innen in der historisch-politischen Bildung gemacht werden, wie Games einen Mehrwert für das historische Verständnis bringen können und welches Potenzial Social-Media-Videos für die Vor- und Nachbereitung von Gedenkstättenbesuchen haben. Dabei wurden u.a. konkrete Erfahrungen der Digitalprojekte der Bildungsagenda NS-Unrecht eingebracht.
Diskutiert haben Dr. Tabea Widmann (Projektleitung „Let‘s remember!“, Stiftung Digitale Spielekultur, Berlin), Linus Kebba-Pook (Geschäftsführung und Vorstand, democ) und Dr. Katalin Krasznahorkai (Kuratorische Leitung, Brandenburgische Gesellschaft für Kultur und Geschichte, Potsdam). Moderiert wurde die Veranstaltung von Leonore Martin (Fachreferentin der Stiftung EVZ).
durchgeführt in Berlin in Kooperation mit der Stiftung Topographie des Terrors
Für Jüdinnen und Juden in Deutschland ist Antisemitismus keinesfalls Geschichte, sondern auch heute noch trauriger Alltag. Nicht immer schaffen es Polizei und Justiz antisemitische Drohungen und Gewalttaten abzuwehren und erfolgreich strafrechtlich zu verfolgen. Hinzu kommt: Nicht immer werden in der polizeilichen Arbeit und justiziellen Praxis antisemitische Motive erkannt und als solche in der Rechtsprechung berücksichtigt. Dies lässt vermuten, dass Verharmlosung von Antisemitismus oder unzureichende Kenntnisse zu aktuellen (codierten) Erscheinungsformen auch für diese Institutionen eine Herausforderung darstellen.
Die Stiftung EVZ lud ein, mit unseren Podiumsgästen und uns über diese Problemstellung zu debattieren. Eingeleitet wurde das Fachgespräch durch eine Keynote von Dr. Ronen Steinke (Jurist und Autor), der eine Bestandsaufnahme antisemitischer Gewalttaten und Übergriffe in Deutschland vornahm und dabei die Arbeit der Ermittlungsbehörden und der Justiz beleuchtete.
Auf dem Podium ging es anschließend um mögliche Lösungsansätze. Es wurde diskutiert, welche konkreten Maßnahmen es für mehr Sensibilität der Ermittlungsbehörden und der Justiz zu Antisemitismus bereits gibt – wie erfolgsversprechend diese sind und welchen Anteil insbesondere historisch-politische Bildung daran hat, den Umgang mit Antisemitismus zu verbessern. Dabei sollten die Herausforderungen aus Perspektive der Polizei, Justiz und der Bildung betrachtet werden und u.a. konkrete Erfahrungen der berufsgruppenspezifischen Bildungsprojekte der Bildungsagenda NS-Unrecht eingebracht werden.
Diskutiert haben Dr. Ronen Steinke (Jurist & Autor), Prof. Dr. Ulrike Lembke (Projektleitung „Antisemitismus und Justiz“, Humboldt-Universität zu Berlin), Sarah Friedek (pädagogische Mitarbeiterin der Gedenkstätte Bergen-Belsen) und Winfrid Wenzel (Kriminaldirektor, Leiter der Zentralstelle für Prävention im LKA Berlin und Antisemitismusbeauftragter der Polizei Berlin). Moderiert wurde die Veranstaltung von Johanna Sokoließ (Fachreferentin der Stiftung EVZ).
durchgeführt in Leipzig in Kooperation mit dem Theater der Jungen Welt Leipzig im Rahmen der Abschlussveranstaltung des Projektes MIRROR // MIRROR
Von manchen wird die deutsche Erinnerungskultur als ritualisiert und starr kritisiert und neue Wege für ein lebendiges Erinnern an das NS-Unrecht und den Holocaust werden gefordert: geschichtsbewusst, sensibel für die Kontinuitäten – personell und in den Köpfen – und aktivierend für ein demokratisches und humanistisches Handeln in der Gegenwart.
In seiner aktuellen Streitschrift „Versöhnungstheater“ etwa analysiert der Autor und Lyriker Max Czollek, dass die deutsche Erinnerungskultur mit ihrer Versöhnungsrhetorik dazu diene, dass sich Deutschland als gutes und geläutertes Land neu erfinden könne. Dieses positive Selbstbild Deutschlands, dass sich so mustergültig an den Holocaust erinnere, ziele dabei auf ein Aussöhnen mit der eigenen deutschen Vergangenheit und nicht auf ein aufrichtiges Erinnern an die Opfer und ein entschiedenes Handeln in der Gegenwart, dass sich diese Katastrophe nicht wiederholt. Und so stehe die deutsche Vergangenheit auch nicht als Ressource für eine demokratische, plurale Gegenwart, „sondern als Warnung davor, wie schlimm die Dinge werden können, wenn wir nicht aufpassen.“
Wie kreieren die Theaterprojekte der Bildungsagenda NS-Unrecht eine lebendige und empathische Erinnerungskultur? Sind sie ihrem eigenen Anspruch gerecht geworden mit künstlerischen Zugängen Menschen zu erreichen, die sich eher nicht für die komplexe NS-Geschichte und den Holocaust interessieren? Inwiefern haben die Projekte zu einem aufrichtigen, lebendigen und kritischen Erinnern beigetragen, welches deutlich macht, dass mit der Vergangenheit auch die Zukunft die Gesellschaft verhandelt wird? Und wie wichtig ist es, dass Jugendliche aktiv teilnehmen, d.h. auch bei der Entwicklung der Stücke mitgestalten können und in ihrer Vielfalt wahrgenommen und gestärkt werden?
Darüber diskutierten wir mit den Theaterschaffenden Mai-An Nguyen (Leiterin der Theaterpädagogik der Schaubühne Berlin), Martina Droste (Leiterin des Jungen Schauspiels Frankfurt), Thomas Blum (Theaterpädagoge des Theaters der Jungen Welt Leipzig) und beteiligten Jugendlichen. Max Czollek (Autor und Lyriker) leitete das Fachgespräch mit einer digitalen Keynote ein. Moderiert wurde die Veranstaltung von Dr. Sonja Begalke (Fachreferentin bei der Stiftung EVZ).