Ein Thema – drei verschiedene Zugänge

Ein Thema – drei verschiedene Zugänge

Rüstungsbetriebe, Landwirtschaft, Privathaushalte, Konzentrations- und Arbeitslager: Zwangsarbeit war im Deutschen Reich zwischen 1939 und 1945 fast allgegenwärtig. 26 Millionen Menschen arbeiteten unter Zwang, ohne Lohn und unter lebensbedrohlichen Bedingungen im Deutschen Reich sowie in den besetzten Gebieten. Gesehen und gehört wurden die Millionen Opfer zu spät – die Dimensionen dieses Unrechts bleiben bis heute oft europaweit unbekannt. Drei geförderte Institutionen widmen sich über drei unterschiedliche Zugänge dem Thema Zwangsarbeit und den Millionen Menschen, die unter ihr litten. Sie forschen, fordern Auseinandersetzung, erinnern, machen sichtbar und sie bilden – und füllen durch partizipative und interdisziplinäre Ansätze Wissenslücken.

Ein Thema – drei Projekte der Bildungsagenda NS-Unrecht:

1. Tödliche Zwangsarbeit in Karya. Deutsche Besatzung und der Holocaust in Griechenland // Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit/ Stiftung Topographie des Terrors

Es ist einige Jahre her, dass Andreas Assael, selbst Sohn eines Holocaust-Überlebenden, ein Album findet, in dem Fotografien eines Arbeitseinsatzes auf einer Großbaustelle bei Karya dokumentiert sind. Er beginnt mit der Erforschung und liefert erste Grundlagen für das Projekt zur kaum bekannten Zwangsarbeit in Griechenland, das seit November 2022 gefördert wird.

1943 deportierten deutsche Besatzer in Griechenland etwa 300 jüdische Männer aus Thessaloniki, um sie bei einem Bauprojekt an der Bahnlinie nach Athen einzusetzen. Über die Schicksale der Zwangsarbeiter ist bislang wenig bekannt. Im Spätsommer 2024 wird eine mediale Ausstellung in Berlin und Athen eröffnet, die sich den Schicksalen der Menschen und der Geschichte der Zwangsarbeit zur Zeit der deutschen Besatzung widmet. Es werden Veranstaltungen und Workshops für die interessierte Öffentlichkeit angeboten; eine Website liefert Lerninhalte für Studierende und Schüler:innen. Unterstützt werden die Stiftung Topographie des Terrors und das federführende Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit von der Arbeitsgruppe Konfliktlandschaften der Universität Osnabrück, die im April 2023 erste geoarchäoogische Untersuchungen in Karya durchführte. Sie entwickelt ein qualitativ hochwertiges 3D-Modell des Tatorts. Eine weitere Kooperationspartnerin ist die Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas.

Parallel zu der Prospektion fand eine Jugendbegegnung mit deutschen und griechischen Studierenden statt. Die Interviews mit Nachfahr:innen der ehemaligen Zwangsarbeiter fließen mit in die Ausstellung ein, die nach Berlin und Athen auch an weiteren Orten gezeigt wird.

Das Projekt zeigt eindrücklich, wie eine gemeinsame Auseinandersetzung mit der Geschichte der NS-Zwangsarbeit in Deutschland und Griechenland funktionieren kann: innovativ, partizipativ und binational.

2. Von einem Ort des Jubels zu einem Ort des Unrechts – Zwangsarbeitslager auf Fußball und Sportplätzen // Gedenkstätten Gestapokeller und Augustaschacht

Sonntagmittag, ein beliebiger Fußballplatz in Deutschland, treue Fans, mitfiebernde Familienmitglieder, Fangesänge und zwei konkurrierende Vereine auf dem Spielfeld. Ein Ort des Jubels – ein Ort, den es so oder ähnlich in jeder kleineren und größeren Gemeinde Deutschlands gibt. Weitestgehend unbekannt ist jedoch die Tatsache, dass einige Fußball- und Sportplätze zur Zeit des Nationalsozialismus zu Zwangsarbeitslagern umfunktioniert wurden – und hier setzt das Bildungsagenda-Projekt an. Das Team nimmt Deutschland und Österreich in den Blick, um die Orte, an denen Sportplätze zu Zwangsarbeitslagern wurden, ausfindig zu machen. Sie werden mit der Unterstützung zahlreicher Beteiligter, darunter Vereinsmuseen und Fanprojekte, erforscht und in einer interaktiven Karte gesammelt. Als Ergebnis entsteht eine digitale Landkarte, die mit historischem Begleitmaterial in Form von Dokumenten, Bildaufnahmen und Zeitzeug:inneninterviews gefüllt auch Impulse für weiterführende Bildungsarbeit geben wird. Die Homepage schafft einen umfassenden Überblick über die Systematik, die hinter den Lagern stand. Das Projekt funktioniert äußerst partizipativ: Zur Mitsuche motiviert werden natürlich nicht nur Fußballfans und Sportbegeisterte aus dem Profi- und Amateurbereich. Auch historisch Interessierte und Aktive aus Bürger:innen-Initiativen suchen und recherchieren mit.

3. Zwangsarbeit und Widerstand – Augmented Reality Application zur Geschichte des Kampnagel-Geländes // Theater Kampnagel

Kampnagel ist eines der größten Produktionshäuser für zeitgenössische Performance, Tanz und Theater in Europa. Ein Gelände mit Geschichte, deren Aufarbeitung überfällig war: 1865 gegründet als Maschinenfabrik in Hamburg, wurde die Kampnagel-Fabrik unter den Nationalsozialisten zum Rüstungsbetrieb umgebaut. Mehr als 1.000 Zwangsarbeiter:innen arbeiteten auf dem heutigen Kulturgelände und wurden in Lagern in der Hansestadt untergebracht. In Untergrundgruppen organisierte sich Widerstand, Sabotageakte wurden verübt.

Die Aufarbeitung der Zwangsarbeit, des Widerstands sowie das Schaffen eines geschichtsbewussten Begegnungsorts sind die Ziele des Projekts, das seit Oktober 2022 läuft. Das Team entwickelt einen Prototypen, der beispielhaft für die Auseinandersetzung eines Kulturzentrums mit der eigenen Geschichte steht.

Die rund 180.000 jährlichen Besucher:innen des Kulturzentrums können vor Ort mit einer AR-App über das Gelände gehen und sich den zeithistorischen Kontext durch Avatare und Originaldokumente erschließen. Exemplarisch werden außerdem Biografien von Zwangsarbeiter:innen und Informationen zum Widerstand digital aufgearbeitet. Regelmäßig finden Treffen statt, bei denen die neuesten Wissensstände des Rechercheteams vorgestellt werden, die Hamburger:innen Fragen stellen und sich vernetzen können.

Autorin: Emilie Buchheister