Die Gefahren, die von einer Relativierung des NS-Unrechts – nicht mehr nur durch Neofaschist:innen, sondern auch durch Verschwörungsideolog:innen und Rechtspopulist:innen – ausgehen, zeigten sich bei Protesten gegen die Corona-Maßnahmen oder in Debatten über den erweiterten russischen Angriffskrieg auf die Ukraine besonders deutlich. In einer Zeit, in der es immer noch entscheidend bleibt, sich klar gegen Vergessen und Relativierung zu positionieren, erarbeitete das Theater der Jungen Welt Leipzig (TDJW) über ein Jahr das dreiteilige Projekt MIRROR // MIRROR.
In Kooperation mit unterschiedlichen kulturellen, politischen und wissenschaftlichen Institutionen sowie Künstler:innen wurden Aspekte der Geschichte von NS-Unrecht in Leipzig sowie Bezüge zu gegenwärtigen Formen rechter Radikalisierung in interdisziplinären und transmedialen Formaten verhandelt.
EIN INTERAKTIVES THEATERPLANSPIEL ÜBER RADIKALISIERUNG IM INTERNET
Stellen wir uns vor: 2022 hat der europäische Gerichtshof entschieden, dass europäische Daten nur auf europäischen Servern gespeichert werden dürfen. In der Folge kündigten Unternehmen wie Meta und TikTok an, ihre Dienste in Europa einzustellen und machten diese Drohung dann tatsächlich wahr. Europa ist ein Social Media-Wasteland. Jedoch nicht lange: „HYDRA“ heißt die neue Social Media-Plattform, die gelobt, alles besser zu machen als die Unternehmen vor ihr. Und dafür braucht „HYDRA“ euch!
In vier Teams treten Spieler:innen gegeneinander an, sammeln Follower:innen und testen so spielerisch die Funktionen der neuen Plattform. Aber hat „HYDRA“ wirklich ein Interesse daran, Filterblasen und Echokammern abzuschaffen? Und was ist mit Jules passiert, dem prototypischen „User 0“?
Als theatrales Planspiel führte ON THE OTHER SIDE das Publikum in die Welt der Likes und Follows, der Troll-Attacken und Bot-Armeen und fragt, wieso Strukturen Sozialer Netzwerke so häufig Desinformation und Radikalisierungsprozesse begünstigen.
Premiere: 7. Mai 2022
MOBILES GAME AUF DEN SPUREN VON NS-ZWANGSARBEIT IM LEIPZIGER STADTRAUM
Ideale Orte für das Arbeiten und Leben der Zukunft per telepathischem Vibe-Scan zu finden – das ist das Konzept des neuen Leipziger Startup-Unternehmens »vibezig«. Wie aber umgehen mit Erinnerungen, die an Orten auftauchen, die man zuvor für historisch unbelastet gehalten hatte?
Für das TDJW schuf Gamedesigner und Kurator Sebastian Quack einen neuen Zugang zur Geschichte der Zwangsarbeit im Leipzig des Nationalsozialismus und zur Debatte um Erinnerungskultur. Ähnlich wie bei „Pokémon GO“ bewegen sich Spieler:innen mit dem Smartphone durch die Stadt. Als Scouts des Startups nehmen sie per App Aufträge an, checken den Vibe von Locations und werden dabei immer tiefer in die Frage hineingezogen, wie mit den diesen Orten anhaftenden Erinnerungen zu verfahren ist: Wer hat ein Interesse daran, sie zu bewahren? Welche Möglichkeiten bieten sie? Und wer will sie am liebsten einfach löschen?
Launch: 30. September 2022
EIN PARTIZIPATIVES STADTTEILPROJEKT IM LEIPZIGER OSTEN ÜBER WIDERSTAND UND SOLIDARITÄT IN VERGANGENHEIT, GEGENWART UND ZUKUNFT
In THE FUTURE IS YOURS beschäftigten sich Menschen zwischen 14 und 78 Jahren mit Perspektiven ehemaliger Zwangsarbeiter:innen und Visionen eines solidarischen Miteinanders. Wenn Zwangsarbeiter:innen zu uns sagen: „THE FUTURE IS YOURS“, meint das nicht nur, dass uns die Zukunft gehört. Sondern es bedeutet auch, dass wir dafür verantwortlich sind, die Gegenwart so zu gestalten, dass eine Gewaltherrschaft wie die des Nationalsozialismus sich nicht wiederholt.
Im Mittelpunkt dieses interdisziplinären künstlerischen Projekts stand eine gemeinsame Auseinandersetzung mit möglichen Formen von Widerstand und Solidarität in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Dafür etablierte das TDJW einen Theater- und Kunstraum im Leipziger Osten, an dem unter anderem folgenden Fragen nachgegangen wurde: Was können wir von den Erfahrungen und Perspektiven der Menschen, die während des Zweiten Weltkriegs Zwangsarbeit verrichtet haben, lernen? Wie sind unsere Geschichten miteinander verwoben? Was bedeutet Solidarität? Und wie können wir uns gemeinsam für eine emanzipierte und solidarische Gesellschaft im Kleinen wie im Großen einsetzen?
Die Ergebnisse der künstlerischen Arbeit wurden im November 2022 im Rahmen einer performativen Installation im Leipziger Osten gezeigt.
Premiere: 12. November 2022
Zusätzlich entstand im Projekt eine Stadtkarte mit einem Überblick über Orte der NS-Zwangsarbeit in Leipzig, die zu eigener Auseinandersetzung einlädt und das Magazin „Lost History: Ausmaß und Spuren von NS-Zwangsarbeit in Leipzig“.
Förderland: Deutschland
Laufzeit: 01.10.2021 bis 31.12.2022