Projekte im Schwerpunkt „Transfer

Projekte im Förderschwerpunkt „Transfer“ zielen auf kompetenzorientiertes Lernen in der Arbeitswelt. Ausgehend von der berufsgruppenspezifischen Beschäftigung mit NS-Unrecht werden Handlungskompetenzen im Umgang mit gegenwärtigen Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit aus- und aufgebaut.

Ein Beispiel dafür: das Projekt „Das geht mich ja was an! Geschichte und Gegenwart nationalsozialistischer Verbrechen im Alltagshandeln von Polizei und Justiz“ des Geschichtsorts Villa ten Hompel.
Über Herausforderungen, Überraschungen und Erkenntnisse ihrer gemeinsamen Arbeit sprach Projektleiter Peter Römer mit Rahel Thiel und Franka Aldenborg aus dem Projektteam.

Peter Römer: Franka Aldenborg und Rahel Thiel, was konnten die bisherigen Teilnehmenden aus Polizei und Justiz – euren eigenen Einschätzungen nach – aus dem Projekt mitnehmen?

Rahel Thiel: Von außen betrachtet ist das natürlich nicht ganz einfach zu sagen, aber viele der Teilnehmenden sind motiviert, sich weiter mit den gelernten Perspektiven auseinanderzusetzen. Diese eigenständige Reflexion wollen wir anregen: Wie bin ich aufgewachsen, was habe ich zunächst in der Schule, später im Studium und schließlich in der Polizei- und Justizausbildung gelernt? Wir wollen ein Bewusstsein dafür schaffen, dass es sich bei der Geschichte der Polizei und Justiz im Nationalsozialismus um einen eher verdrängten Teil unserer Erinnerungskultur handelt – das haben vielleicht nicht alle, aber hoffentlich viele mitgenommen.

Franka Aldenborg: Ich würde nicht so weit gehen, zu behaupten, dass die Teilnehmenden bei uns lernen, ihre eigenen Geschichtsnarrative zu verändern, das ist aus externer Perspektive schwer zu beurteilen. Wahrgenommen werden die eigenen, kontrastierenden Geschichtsbilder aber auf jeden Fall. Das Lernen an einem historischen Ort mit historischen Quellen, die ganz persönliche Geschichten erzählen, ermöglicht es, bestehende Bilder aufzubrechen. Anhand von Daten und Fakten ordnen wir gemeinsam persönliche Narrative in den geschichtlichen Kontext ein – dabei ist es wichtig, einen absolut sicheren Kommunikationsraum zu bieten, auf Gesagtes einzugehen und nicht auf dem selbst gesetzten roten Faden des Seminars zu bestehen.

Peter Römer: Eine gute Überleitung zu meiner nächsten Frage … Welche Herausforderungen sind euch begegnet, welche Überraschungen und Highlights habt ihr erlebt?

Rahel Thiel: Das könnte man vielleicht auch als Herausforderung der Teilnehmenden festhalten: Da wir ein Geschichtsort sind, erwarten einige Polizist:innen im Vorhinein vielleicht, dass wir uns den ganzen Tag mit der Geschichte auseinandersetzen. Uns geht es aber gar nicht darum, zu belehren. Ich habe mich im Laufe der Seminartage immer wieder in meiner eigenen Lebenswelt zum Nachdenken angeregt gefühlt – zum Beispiel als Teilnehmende plötzlich ganz ohne Aufforderung über eigenes Schubladendenken reflektiert haben. Für mich war es überraschend, wie unterschiedlich Gruppendynamiken sein können – je nachdem, ob es eine einheitliche oder eine gemischte Gruppe aus verschiedenen Einheiten mit verschiedenen Rängen innerhalb der Polizei ist oder ob es Justizbeamt:innen sind. Da kommen ganz unterschiedliche Denkweisen zusammen. Wenn beispielsweise eine Polizistin erklärt, wie ein bestimmter Einsatz während einer Demonstration in ihrer Einheit reflektiert wird, und jemand anderes im Anschluss von einem ganz anderen Umgang berichtet, dann ist das sehr gewinnbringend für uns.

Peter Römer: Das Projekt ist für die Weiterentwicklung angelegt. Was passiert gerade mit den Materialien, die über das letzte Jahr entstanden sind?

Franka Aldenborg: Dank der Förderung hatten wir die Gelegenheit, die einzelnen Themen – Queerfeindlichkeit, Antiziganismus, Rassismus und Antisemitismus – eingehend zu behandeln. Innerhalb des Teams haben wir darauf basierend Arbeitsgruppen gebildet, die für die jeweiligen Schwerpunkte Materialien erarbeiten. Für unsere Seminare, die laufend in unserem Haus stattfinden, entwickeln wir anhand dieser Vorarbeit die Materialien weiter. Durch die Auseinandersetzung mit den Teilnehmenden lernen wir immer mehr, was wir brauchen, was funktioniert und was nicht. Wir tauschen beispielsweise immer wieder Bilder aus und wenn wir Hinweise von Teilnehmenden bekommen, dass ein bestimmtes Thema oder eine Quelle schwierig ist, berücksichtigen wir das. Für ein Modul können Teilnehmende historischen und erdachten historischen Personen „über die Schulter blicken“. Zu Beginn gab es dazu nur eine Power Point-Präsentation, mittlerweile ist ein Touchscreen hier für fester Bestandteil der Ausstellung. Eine Weiterentwicklung findet also sowohl auf der methodischen als auch der technischen Ebene statt.

Rahel Thiel: Um einen Gegenwartsbezug herzustellen, braucht es aktuelle Themen, die nahe an der Lebenswelt der Teilnehmenden liegen. Unser Projekt ist im ersten Pandemiejahr entstanden – gerade für das Thema Antisemitismus konnten wir hier viele Bezüge zu den großen Corona-Demonstrationen herstellen. Die dort verwendete Symbolik kann natürlich weiterhin in den Seminaren besprochen werden – aber irgendwann stellt sich natürlich die Frage, ob es einen aktuelleren Gegenwartsbezug gibt. Diese Module müssen laufend reflektiert und überarbeitet werden.

Peter Römer: Mit dem Projekt haben wir einen wichtigen Schritt in Richtung der Zusammenarbeit mit staatlichen Institutionen gemacht – gerade in Bezug auf Ausbildungscurricula sind wir heute auf einem ganz anderen Stand als vor zwei Jahren. 

Rahel Thiel: Mittlerweile gibt es Kooperationsverträge mit beispielsweise der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung (HSPV NRW) und der Deutschen Hochschule der Polizei (DHPol). So gibt es gefestigte Konstellationen, mit denen wir gemeinsam an den entwickelten Modulen weiterarbeiten können.

Franka Aldenborg: In die Ausbildungscurricula und Fortbildungsprogramme der Polizei in NRW ist unsere Projektarbeit bereits eng eingegliedert – gleichzeitig ist der Bedarf an Bildung von Erwachsenen zu NS-Unrecht sehr hoch. Wenn in berufsspezifischen Seminaren über den Nationalsozialismus gesprochen wird, soll dieser immer möglichst weit weg und abgeschlossen sein – für uns nicht mehr erreichbar oder antastbar, sodass eine Abgrenzung möglich ist. Es ist aber besonders wichtig, gerade über die institutionellen Kontinuitäten in Bezug auf das NS-Unrecht nach 1945 zu sprechen. Darüber hinaus sind Geschichtsnarrative nicht so fest wie oft angenommen – es gibt kein Schwarz oder Weiß. Darüber müssen wir fortlaufend sprechen: Wie hätten sich Menschen anders verhalten können? Welche Handlungsspielräume gab es? Was sagt das über die damalige Gesellschaft aus? Heute können wir diese teilweise erklären, in jedem Fall aber diskutieren und Bezüge zu heutigen Diskriminierungsformen herstellen. Das macht historisch-politische Bildung für uns und unsere Teilnehmer:innen so wichtig.

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