Prof. Dr. Benjamin Lahusen, Leiter des Projekts „Recht ohne Recht“ an der Europa-Universität Viadrina

Herr Lahusen, warum ist die Restitution von Kunst im Allgemeinen, speziell aber im Fall von NS-Raubgut, so schwierig?

Einem Kunstwerk sieht man nicht an, wem es einmal gehört hat, wie es in den Handel kam, zu welchem Preis und mit welchen Motiven es Besitzer:innen gewechselt hat. All das stellt die Provenienzforschung vor große Schwierigkeiten. Auch nach jahrelangen Untersuchungen bleiben oft Unsicherheiten. Dieser Offenheit stehen in der Regel bedeutende ideelle und nicht selten materielle Werte gegenüber. Es wäre daher wichtig, das vorhandene Wissen über Restitutionsfälle zu bündeln und zu systematisieren. Genau das passiert aber nicht, wohl auch deshalb, weil die betroffenen Institutionen fürchten, eine Restitution könnte zum Präzedenzfall werden und Begehrlichkeiten wecken.

Wo greift das Projekt „Recht ohne Recht“ diese Problematik auf und wen spricht es an?

Im Moment beginnt jede Restitution mehr oder weniger bei null. Wer bislang was mit welchen Gründen restituiert hat, ist, jenseits von Einzelfällen, unbekannt. Der Bund verweist auf die Länder, die Länder auf den Datenschutz. Dass unsere Restitutionspraxis auf normativen Grundlagen beruht, die zwischen 1945 und 1975 eine riesige Vielzahl von Gerichtsurteilen und Fachliteratur produziert haben, wird kaum reflektiert. Dieses Wissen wollen wir wieder sichtbar machen und für die heutige Praxis erschließen, also für ehemalige Eigentümer:innen und ihre Erben, für Mitarbeiter:innen von Museen und Kulturverwaltung, für die Provenienzforschung oder für Anwält:innen.

Welche Wünsche oder Ziele haben Sie für das Projekt und an welcher Stelle kann es einen wichtigen Debattenbeitrag für die Erinnerungskultur leisten?

Die Rückerstattung von Kulturgut ist eines der wenigen Themengebiete, an dem die Erinnerung an die Shoa mehr verlangt als ein Bekenntnis. Am Ende muss Deutschland möglicherweise ein Kulturgut abgeben. Leider wird das in der öffentlichen Wahrnehmung oft als Verlust wahrgenommen und nicht als Akt der Versöhnung, im schlimmsten Fall begleitet von antisemitischen Stereotypen. Dabei ist ja nicht die heutige Rückgabe, sondern die damalige Entziehung der wahre Verlust. Unserem Projekt ist es wichtig, der Rückerstattung von Kulturgut ein anderes Narrativ zu geben und einen Weg zu finden, wie historische Verantwortung heute gelebt werden kann, gerade wenn es in absehbarer Zeit keine Zeitzeugen mehr geben wird.