Vom 28.-30. August 2022 reiste der derzeitige Vorstand der Stiftung EVZ, Dr. Andrea Despot und Jakob Meyer, nach Prag. Nach zwei Jahren Pandemie bot sich endlich die Gelegenheit für den Besuch eines unserer Schwerpunktländer und den Austausch mit Partner:innen und Projektträgern.

Die Stiftung EVZ ist seit über 20 Jahren in Tschechien aktiv. Bis zum Jahr 2007 erhielten 75.804 Personen Leistungen im Rahmen der humanitären Ausgleichszahlungen an ehemalige Zwangsarbeiter:innen und andere Opfer des nationalsozialistischen Unrechts.

Darüber hinaus förderte die Stiftung EVZ in den vergangenen 20 Jahren mehr als 155 Projekte in Tschechien bzw. mit tschechischen Kooperationspartnern in Höhe von 6.5 Mio. Euro. Im Fokus steht heute v.a. das humanitäre Engagement für Überlebende, europäische Jugendaustauschprojekte, erinnerungskulturelle Themen und die Bekämpfung von Antiziganismus. 


Lokale erinnerungskulturelle Projekte aus Tschechien, der Slowakei, Polen und der Ukraine können sich noch bis zum 30. September 2022 im Programm local.history um Projektförderung für das Jahr 2023 bewerben.  
 

Ein Ort mit wechselhafter Geschichte - das Seniorenzentrum Hagibor  


Zunächst besuchte der Vorstand der Stiftung EVZ das Seniorenzentrum Hagibor im Viertel Strašnice, in dem heute noch etwa 50 Shoah-Überlebende wohnen und mit großer Umsicht und Zuneigung umsorgt werden. 

Ein Ort mit einer wechselhaften Geschichte - zunächst Altersheim der jüdischen Gemeinde Prag, wurde das Gelände bis zum Beginn des Krieges als Sportareal des jüdischen Sportvereins Hagibor genutzt. Nach der Besetzung der Tschechoslowakei durch das nationalsozialistische Deutschland war Hagibor einer der wenigen Orte, an denen sich jüdische Jugendliche vorerst noch treffen konnten. Ab 1943 wurde das Gelände dann als Konzentrations- und Zwangsarbeiterlager für sogenannte Mischlinge oder Menschen in Mischehen genutzt. Erst nach der Wende wurde ein Teil des Geländes an die jüdische Gemeinde übergeben, auf dem 2008 das heutige Seniorenzentrum eröffnet wurde. 

Eine kleine Ausstellung erinnert an die Geschichte des Ortes.

78.000 Namen - Besuch des Jüdischen Viertels Prag 

Ein Streifzug durch die jüdische Geschichte Prags: Das jüdische Viertel im Stadtteil Josefov mit seinen zahlreichen Synagogen versinnbildlicht die lange, vielschichtige und schwierige jüdische Geschichte in Prag. In der Pinkas Synagoge befindet sich heute eine Gedenkstätte an den Holocaust. An die Wände der Synagoge wurden bereits in den 1950er Jahren die Namen von 78.000 ermordeten tschechoslowakischen Jüd:innen und Juden handschriftlich eingezeichnet. 
In der Spanischen Synagoge besuchten Dr. Andrea Despot und Jakob Meyer eine beindruckende Ausstellung zur Geschichte der Juden in der Tschechoslowakei im 19./20. Jahrhundert. 
 

Austausch zur Zivilgesellschaft – Gespräch mit der Heinrich-Böll-Stiftung 

Der Austausch mit Stiftungen, NGOs und Vertreter:innen der Zivilgesellschaft ist für die Stiftung EVZ von überaus großer Bedeutung. Wir danken Adéla Jurečkova, der Leiterin des Regionalbüros der Heinrich-Böll-Stiftung für den Austausch zur Situation der Zivilgesellschaft, v.a. der Minderheit der Rom:nja und Sinti:zze  in Tschechien, der Slowakei und Ungarn. 

Memory of Nations- ein erinnerungskulturelles Langzeitprojekt von Post Bellum


Post Bellum ist eine der zentralen erinnerungskulturellen Organisationen in der Tschechischen Republik und langjähriger Partner der Stiftung EVZ. Im Gespräch mit Marie Janoušková, der Leiterin der internationalen Abteilung, tauschten sich Dr. Andrea Despot und Jakob Meyer z.B. zum langjährigen Programm „Memory of Nations“ aus, in dem der so engagierte Projektpartner bereits mehr als 14.000 Zeitzeug:inneninterviews zur Geschichte des 20. Jahrhunderts in Tschechien und der Tschechoslowakei aus unterschiedlichen Perspektiven gesammelt hat. 
 

Virtual Reality in der historisch-politischen Bildung - ein Besuch bei ROMEA 


Im Gespräch mit Zdeněk Ryšavý, dem Direktor von ROMEA, und seinem Team bekamen wir einen Einblick in die Aktivitäten der NGO, wie z.B. Stipendienprogramme für junge Rom:nja und Sinti:ze, die Bekämpfung von Hate Speech im Internet und digitale erinnerungskulturelle Bildungsprojekte. 
Obwohl noch in der Testphase befindlich, konnten sich Andrea Despot und Jakob Meyer ein Bild von der Virtual Reality Anwendung zum deutschen Konzentrationslager Lety u Písku machen, in dem Rom:nja und Sinti:ze von 1940-1945 inhaftiert waren. Erst im Mai 2018 wurde das Gelände an den tschechischen Staat übergeben. Der sich auf dem Gelände befindliche Schweinemastbetrieb wird seit diesem Sommer abgerissen. Nun soll an diesem Ort eine Gedenkstätte für die Opfer entstehen. 
 

Enge deutsch-tschechische Beziehungen - die Deutsche Botschaft Prag


„Wir sind zu ihnen gekommen, um ihnen mitzuteilen, dass heute ihre Ausreise möglich geworden ist“- Diesen berühmten Satz sprach der damalige Außenminister Hans-Dietrich Genscher am 30.09.1989 auf dem Balkon der Deutschen Botschaft Prag zu fast 4000 Flüchtlingen aus der DDR, die in die Bundesrepublik ausreisen wollten. Eine Schlüsselepisode der jüngsten deutsch-deutschen Geschichte in Prag. 
In der Deutschen Botschaft wurde der Vorstand der Stiftung EVZ vom Botschaftsrat Markus Klinger, dem Leiter des Kulturreferats und Frau Katrin Bock, Mitarbeiterin im Kulturreferat, empfangen. Im dem rund einstündigen Gespräch stand vor allem die vielfältige Erinnerungskultur in Tschechien und die Freiwilligenarbeit mit Überlebenden, auch an ausgewählten Erinnerungsorten, im Fokus. 

Engagiert. Erfahren - Austausch mit tschechischen Trägern der Erinnerungskultur 


Auf Initiative des Geschäftsführers des Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds und langjährigen stellvertretenden Kurator der Stiftung EVZ, Tomaš Jelínek, fand ein Treffen mit vier erinnerungskulturellen Institutionen bzw. Initiativen und Projekten statt. Eine wunderbare Chance, mehr über konkrete Projektideen, z.B. Museumsprojekte, Bildungsinitiativen und Opferdatenbanken zu erfahren. In einem offenen Austausch wurden aber auch die gesellschaftlichen und finanziellen Herausforderungen und Rahmenbedingungen der Träger thematisiert. 
 

Autorin: Mascha Wilke

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