EVZ Insights

Mit der Interviewreihe #EVZInsights bieten wir Einblicke in die Arbeit unseres Teams. Womit beschäftigen wir uns in der täglichen Stiftungsarbeit? Was sind aktuelle Herausforderungen? Wie lassen sie sich meistern? Aktive und ehemalige Mitarbeitende der Geschäftsstelle bieten Einblicke, sprechen über ihre Erfahrungen und teilen ihre Wünsche für die Zukunft.

Datum: 13. September 2022

Frau Despot, die Zukunftsagenda ist seit gut einem Jahr aufgesetzt - wie ist Ihre Bilanz?

Im Jahr 2020 feierte die Stiftung EVZ zwanzigjähriges Jubiläum. Die Freude war in unserem Haus angesichts gesellschaftlicher Herausforderungen jedoch getrübt. Wir mussten einen Anstieg antisemitischer und antiziganistischer Übergriffe feststellen – online wie offline. Gleichzeitig zeigte sich, dass die Zeitzeug:innen der NS-Verfolgung leider immer weniger werden. Vor diesem Hintergrund war unser wesentliches Ziel klar: Wir wollten den Auftrag unserer Stiftung erst recht wirkungsvoll umsetzen. Wir wollten weiter Erinnerung wachhalten, Verantwortung im Hier und Heute übernehmen und auf eine gute, gemeinsame, demokratische Zukunft hinwirken. Wir haben diesem Ziel die Zukunftsagenda gewidmet. Uns war eine programmatische Neuausrichtung wichtig, um eine lebendige, aktivierende, multiperspektivische Erinnerungskultur zu ermöglichen. Als Organisation wollten wir uns vor allem digital besser aufstellen, drittmittelfähig sein sowie interne Arbeitsprozesse und -strukturen effizient und zukunftsorientiert aufstellen. Die Zwischenbilanz nach gut einem Jahr der Zukunftsagenda fällt in meinen Augen überaus positiv aus. Wir konnten programmatische Akzente setzen. Wir konnten den Anspruch, den wir formuliert haben, sichtbarer, wirkungsmächtiger zu werden, ein ganzes, gutes Stück einlösen. Es bleibt natürlich noch ein Weg zu gehen. Aber lassen Sie uns in einem Jahr nochmal sprechen. Dann haben wir unsere Ziele ausgebaut!

Audio Dr. Andrea Despot

Dr. Andrea Despot

Zwischenbilanz zur Zukunftsagenda

Inwiefern war der 24. Februar 2022 eine Zäsur für die Stiftung? Welche Auswirkungen hat der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine für die Stiftungsarbeit?

Der 24. Februar 2022, der brutale Angriffskrieg Russlands gegen ein souveränes, demokratisches Land, ist ein Epochenbruch, eine Zäsur der europäischen Nachkriegsgeschichte. Wir sind in den Ländern, in denen der deutsche Vernichtungskrieg gewütet hat, besonders verbunden und vor Ort engagiert. Der Krieg hat also massive Rückwirkungen auf unsere Partner:innen vor Ort, auf unser Engagement und auf die Möglichkeit Projekte durchzuführen. Ein Beispiel: Die Stiftung steht derzeit vor großen Herausforderungen, wie sie langjährige, zivilgesellschaftliche Partner:innen aus Russland unterstützen kann, die sich trotz massiver Repression für ein Gedenken an die nationalsozialistische und stalinistische Diktatur einsetzen. Was die Ukraine angeht: Das Land ist erschüttert. Wir sind also im humanitären Feld gefordert, um für Überlebende der Shoah weiterhin unserer Verantwortung gerecht zu werden – auch wenn das konkret bedeutet, Medikamente und Hygieneartikel zu den Menschen in Bunkern zu bringen. Wir können sagen, dass ein Teil unserer Arbeit in der Ukraine weiter funktioniert, obwohl unsere Partner:innen unter enormem Stress stehen und riesige Herausforderungen zu meistern haben. Manche Projekte konnten ihre Arbeit aufrechterhalten - selbst in den umkämpften Gebieten. Einen anderen Teil unserer Projekte haben wir ganz schnell und unbürokratisch umgewidmet, sodass die Organisationen vor Ort sehr flexibel mit unserer Unterstützung helfen konnten. Es gibt auch Partnerorganisationen, die das Land verlassen mussten. Hier versuchen wir auf anderen Wegen zu helfen. Ein Beispiel hierfür ist unser Stipendienprogramm. Wir ziehen uns nicht zurück. Die Stiftung hat sich nicht nur nicht zurückgezogen! Die Stiftung hat sich hier sowohl aus vollem Herzen, aber auch aus Geschichtsbewusstsein heraus, ganz besonders engagiert und ihr Engagement hochgefahren. Die Stiftung konnte sich, gemessen an den Möglichkeiten der Stiftung, doch in einem nennenswerten Ausmaß engagieren und unterstützen. Das wird auch so bleiben! Wir haben selbstverständlich eine moralische und historische Verantwortung dem Land und den Menschen gegenüber. Die werden wir nicht nur ausüben, sondern die tragen wir auch aus vollem Herzen. Das ist so!

Audio Dr. Andrea Despot

Dr. Andrea Despot

Unterstützung für die Ukraine

Sie haben sich lange wissenschaftlich mit der Ost- und Südosteuropäischen Geschichte beschäftigt. Wo sehen Sie die Brücken zwischen Ihrer Expertise und dem Auftrag der Stiftung EVZ?

Ich habe die Geschichte Osteuropas studiert und mich lange mit dem postsowjetischen Raum beschäftigt. Daher ist mir die Gewalt- und Konfliktgeschichte und die Dynamik vor Ort, aber auch die zivilgesellschaftliche Kraft, die die Menschen dieser Länder entfaltet haben, sehr eindrücklich bewusst. So gesehen ist die Brücke zwischen meinem persönlichen Studium und meinen Forschungsarbeiten zu der Region sicherlich hilfreich – in einem historisch bewussten, aber auch sehr empathischen Sinne. Ich bin schließlich überzeugte Europäerin, nicht zuletzt aus meiner eigenen Familienbiografie heraus. Der Weg und Aufbruch ehemals sozialistischer Länder habe ich in der eigenen Familiengeschichte hautnah miterlebt. Insofern liegt mir ein demokratisches und wertebasiertes Europa sehr am Herzen - immerhin hat es uns lange Zeit Frieden gebracht. Wenn Europa im Moment leider nicht Frieden stiften kann, ist die europäische Idee umso wichtiger!

Welche Rückmeldung, welches Projekt oder welche Begegnung hat Sie bisher in Ihrer Arbeit als Vorstandsvorsitzende besonders erstaunt?

Also das ist die schwierigste Frage von allen! Aber am meisten bewegt mich und ich glaube das zeichnet auch unsere Aufgabe als Stiftung aus, wenn Menschen zusammenkommen, seien es junge Menschen, die an einem historischen Ort der Vertreibung und Vernichtung zusammenkommen und dort über Geschichte nachdenken. Aber auch ihre Gegenwart in den Fokus nehmen und sich fragen: Was können wir heute in Kenntnis der Geschichte für unsere Zukunft tun? Der andere Punkt ist natürlich die Überlebenden, die Zeitzeug:innen, wenn die aus ihrem Leben erzählen. Das geht ins Herz direkt. Dafür arbeiten wir. 

Audio Dr. Andrea Despot

Dr. Andrea Despot

Gibt es ein Lieblingsprojekt?

Datum: 1. Dezember 2022

Frau Wilke, wie kamen Sie und die Stiftung EVZ zusammen? Was konnten Sie an Erfahrungen einbringen?

Ich habe osteuropäische Geschichte, Politik und Internationale Beziehungen studiert und habe fast 7 Jahre an dem 16 bändigen Editionsprojekt „Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden (VEJ)“    am Institut für Zeitgeschichte (IfZ) mitgebeitet. Die Arbeit der Stiftung EVZ, ihre Projekte und Programme, habe ich bereits damals mit großem Interesse verfolgt. In der Kultur- und Kommunikationsabteilung des Auswärtigen Amtes – wo ich vor meiner Tätigkeit in der Stiftung EVZ Referentin war- habe ich mich mit anderen Themen intensiv beschäftigt. Dort befasste ich mich vor allem mit den transatlantischen Beziehungen, aber auch mit der internationalen Museumskooperation und Fragen der Restitution und Zirkulation von kolonialen Objekten. Überschnitten haben sich die Tätigkeit am IfZ und die hochaktuelle, politische Frage nach dem Umgang mit der kolonialen Vergangenheit insofern, da sich bei beiden Themen die Frage aufdrängt, wie wir mit unserer Vergangenheit umgehen und wo „blinde Flecken“ bestehen. Was mir in meiner jetzigen Arbeit in der Stiftung EVZ nützt, ist zum einen die Bandbreite an Themen, mit denen ich mich in meinem bisherigen Berufsleben beschäftigen durfte. Zum anderen haben mich die Begegnungen mit Menschen geprägt – ganz unterschiedliche Menschen aus verschiedenen Ländern, Kontexten, wie Wissenschaft, Kultur, Zivilgesellschaft oder Politik. Die Vielfalt der Themen der Stiftung EVZ – von der historisch-politischen Bildung bis zum Engagement für Menschenrechte und die internationale Ausrichtung haben mich dann für die Stiftung EVZ begeistert.

Sie sind jetzt seit fast drei Jahren wissenschaftliche Referentin des Vorstandes. Was macht die Stelle besonders?

Meine Arbeit ist sehr vielfältig und spannend! Ich bekomme die ganze Bandbreite an Themen mit, die in der Stiftung aktuell sind.  Mich interessieren besonders die erinnerungspolitischen und erinnerungskulturellen Themen –  immer mit Blick auf relevante Herausforderungen der Gegenwart. Historisch-politische Bildung, Campaigning, aktive Zusammenarbeit mit Partner:innen und Unterstützung von internationalen Projektträger:innen – das ist etwas, was mich jeden Tag aufs Neue motiviert. Außerdem interessiert mich besonders der regionale Schwerpunkt der Stiftung EVZ: Osteuropa und Israel und die Ansätze der Stiftung. Es gibt hier viele Kolleg:innen , die neben hervorragenden  Sprachkenntnissen auch fundierte Kenntnisse der Region haben. Es ist im letzten Jahr –durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine-  nochmal so deutlich geworden, dass diese Regionalexpertise und kulturelle Übersetzungsleistung eine absolut notwendige Voraussetzung für das politische und gesellschaftliche Verständnis Osteuropas ist, welches auf Wissen Empathie beruhen sollte.  Darüber hinaus ist für mich der Ansatz der Stiftung EVZ, Multiperspektivität vor allem in der Erinnerungsarbeit zu fördern, also Perspektiven auch von marginalisierten Opfergruppen hörbar zu machen, sehr wichtig.  Schließlich ist es für mich ganz wesentlich, dass wir uns darum bemühen nicht in bilateralen Formaten z.B. im Bereich des Jugendaustausches unterwegs zu sein, sondern Europa als etwas Transnationales zu verstehen und zu versuchen eine genuin europäische Perspektive in all ihrer Vielstimmigkeit zu ermöglichen.

Wie sieht ein typischer Arbeitstag von Ihnen aus?

Einen wirklich typischen Arbeitstag habe ich eigentlich nicht. Und dafür bin ich tatsächlich sehr dankbar. Generell geht es in meiner Tätigkeit vor allem darum den Vorstand der Stiftung bei allen strategischen und politischen Fragen zu beraten sowie Entscheidungen vorzubereiten. Meine Aufgaben umfassen z.B. das Verfassen von Grußworten und Reden oder das Schreiben von Konzepten und Anträgen. Ich bereite Gespräche vor, nehme an Verhandlungen z.B. mit Ministerien teil, bereite Kuratoriumssitzungen vor oder nehme etwa heute an einer Jahresplanungsklausur teil.

Wenn Sie aus der Vielfalt an Erfahrungen etwas wählen müssten: Was war Ihr bisheriges Highlight in der Arbeit für die Stiftung?

Es ist weniger ein Highlight als das prägendste, einschneidenste Ereignis in diesem Jahr. Das war mit Sicherheit der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine und in der Folge die Reaktion, die Aktivitäten der Stiftung EVZ. In dem Augenblick ist mir ganz deutlich geworden, wie relevant die Stiftung ist und wo ihre Potentiale liegen, auch als eine Akteurin in einem großen Netzwerk. Gerade auch in Deutschland ist die Stiftung EVZ da wirklich einzigartig mit ihren breiten zivilgesellschaftlichen Netzwerken in Osteuropa, vor allem in der Ukraine. Wir konnten innerhalb kürzester Zeit so viele Dinge in Gang setzen: an Sofortmaßnahmen, an Kommunikation, konnten Stimmen einsammeln aus der Ukraine, um auch hier in Deutschland für dringend notwendige Solidarität und Empathie mit den Menschen in der Ukraine zu werben. Das halte ich tatsächlich für eine der vordringlichsten Aufgaben der Stiftung, vor allem in den nächsten Monaten, wo davon auszugehen ist, dass diese Welle der Solidarität und Empathie abebbt. Wir müssen deutlich machen, warum es jetzt so wichtig ist, dass wir die Ukraine und die Zivilgesellschaft nicht vergessen. Das können wir und das tun wir auch! Ob es das Solidaritätsbudget ist, das wir jetzt beschlossen haben, mit dem wir ganz zielgerichtet die Zivilgesellschaft unterstützen wollen. Oder eben andere Dinge, wo wir einfach sagen: Wir kennen die Menschen, das sind ja nicht nur Projektpartner:innen – das sind teilweise Freund:innen, für manche Kolleg:innen auch Familie, Verwandte. . Wir müssen darauf dringen, dass sich die deutsche Öffentlichkeit und Politik nicht von den Schicksalen dieser Menschen abwendet und zur Tagesordnung übergeht. Darin sehe ich eine unserer zentralen Aufgaben der nächsten Monate.

Datum: 10. Februar 2021

Martin Bock, wie sind Sie und die Stiftung EVZ zusammengekommen? 

Ich habe mich im Sommer 2002 auf eine Stelle als Programmleiter beworben und diese nicht bekommen. Im Herbst wurde ich dann angerufen und gefragt, ob ich noch einen Job suche. In der Stiftung war eine Stelle als Leiter eines Prüfteams im Bereich der Auszahlung ausgeschrieben. Und so hatte ich mich beworben. 

„Leiter eines Prüfteams“: Was kann man sich darunter vorstellen? 

Von 2001 bis 2006 gab es verschiedene Auszahlungsprogramme der Stiftung EVZ. Das bekannteste war das für ehemalige Zwangsarbeiter:innen. Die jeweiligen Antragsteller:innen mussten die Anträge an sechs verschiedene Partnerorganisationen verschicken. Noch vor Ort wurden die Anträge bearbeitet. Nach der Entscheidung wurden sie an die Stiftung EVZ weitergeleitet, wo überprüft werden musste, ob über diese gesetzeskonform entschieden worden war. Außerdem musste geprüft werden, ob bei verschiedenen Partnerorganisationen ähnliche Fälle und Erzählungen von Zwangsarbeiter:innen auftraten. Diese Fälle mussten dann gleich entschieden werden. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Zwei Brüder, der eine lebt in der Ukraine, der andere in Russland. Beide hatten Zwangsarbeit zu leisten. Beide stellen aber bei zwei unterschiedlichen Organisationen einen Antrag auf Entschädigung. Sie erlebten das gleiche Schicksal und sollten deshalb die gleiche Entschädigungssumme erhalten. 

Neben diesem Auszahlungsprogramm für ehemalige Zwangsarbeiter:innen gab es noch weitere: unter anderem eines für sog. „sonstige Personenschäden“. Entschädigungsberechtigt waren Opfer medizinischer Versuche zur Zeit des Nationalsozialismus und Menschen, die als Kinder Opfer des Regimes wurden. Während es für dieses Programm ein Prüfteam gab, gab es für die Zwangsarbeiter:in-Entschädigung drei Teams, die regelmäßig Dokumente prüften und stichprobenartig die Anträge in den Organisationen vor Ort kontrollierten.
Die Fördertätigkeit war bereits seit Gründung ein kleiner Teil der Stiftungsarbeit und wurde irgendwann zum sichtbarsten vielmehr zum ausschließlichen. Genau, nach dem Ende der Auszahlungen ist die Säulenstruktur der Förderung entstanden: Erinnerung, Verantwortung und Zukunft – also Geschichte, Menschenrechte und humanitäre Projekte. 

Welche Rückmeldungen, Begegnungen oder Projekte haben Sie in den fast 20 Jahren besonders beeindruckt? 

Das, was mich am meisten bewegt hat, waren die Begegnungen mit Überlebenden oder Vertreter:innen der Partnerorganisationen. Einmal saß ich mit einem Ehepaar und einem Herrn beim Abendessen zusammen. Die drei hatten den Holocaust überlebt. Die beiden Herren unterhielten sich über ihre Zeit im Ghetto Łódź, wie sie Schuhnägel anfertigen mussten. Beide sprachen darüber wie über fröhliche gemeinsame Arbeitserinnerungen. Die Ehefrau sagte zu mir „die beiden werden immer albern, wenn sie über das Ghetto reden“. Das hat mich in mehrfacher Hinsicht berührt und zum Nachdenken gebracht. Zum einen zeigte es mir, dass sie einen Weg gefunden hatten, mit diesem schweren Schicksal zu leben. Sie hatten die Kraft, es umzudeuten und darüber zu lachen. Zum anderen musste ich an viele Begegnungen mit Kindern von Holocaust-Überlebenden denken, die mit der Sprachlosigkeit, den Verletzungen und Alpträumen ihrer Eltern aufgewachsen sind und davon selbst traumatisiert wurden. Die hatten und haben keine Deutungshoheit über das Schicksal ihrer Eltern und kaum eine Möglichkeit, ihren Frieden zu finden. Ich glaube, das ist der Grund, weshalb die Nachkommen der Opfer oft sehr fordernd und zornig in Gesprächen waren. 
Es gab viele sehr beeindruckende Persönlichkeiten, die ich kennengelernt habe. Darüber könnte ich stundelang erzählen. Um nur zwei zu nennen: Noach Flug, ehemaliger Kurator und Vertreter der Claims Conference und Vorsitzender des Internationalen Auschwitzkomitees. 
Ein Projekt, das sich mir besonders eingeprägt hat, war das Schulprojekt „Zwangsarbeit vor Ort“. Die Schüler:innen gingen los, führten vor Ort Interviews und trugen ihre Ergebnisse in den Schulen vor. Jedes Mal kamen Schreiben von Anwälten, die zu verhindern versuchten, dass Institutionen oder Geschäfte mit Zwangsarbeit in Verbindung gebracht werden. Die Schüler:innen haben ganze Gemeinden aufgemischt und tolle Projekte ins Leben gerufen. 

Datum: 11. Juni 2021

Elke Braun, wie sind die Stiftung EVZ und Du zusammengekommen?

Ich habe mich im Frühjahr 2002 auf eine Stelle als Referentin für das Programm Psychosoziale und medizinische Betreuung von NS-Opfern beworben. Zuvor hatte ich in der internationalen humanitären Zusammenarbeit Förder- und Projekterfahrungen in Osteuropa und auf dem Balkan gesammelt. Während des Studiums in Leningrad und späterer Besuche in St. Petersburg hat mich beeindruckt, wie offen und versöhnend Überlebende der Shoah und ehemalige NS-Zwangsarbeiter:innen mir begegneten. Daher habe ich mich sehr gefreut, an dieser wichtigen Aufgabe mitarbeiten zu dürfen. Das – leider sehr späte – Engagement der Stiftung für die ehemaligen NS-Zwangsarbeiter:innen war ein wichtiger Schritt in der Entschädigungsgeschichte Deutschlands, weil erstmals auch die Menschen in Osteuropa erreicht wurden.  

Was ist das Besondere an der Arbeit im Förderbereich der Stiftung EVZ?

Die Stiftung vergibt Geld, damit andere Gutes tun können. Konkret: Wir unterstützen Vereine, die sich für Überlebende der NS-Verfolgung vor Ort engagieren. Das ist eine hohe Verantwortung. Bei der Auswahl der Projekte arbeiten wir mit Expert:innen aus den Ländern Osteuropas zusammen und beraten jeden Antrag nach zuvor festgelegten Kriterien. Dann schließen wir Verträge. Am spannendsten ist jedoch die Vernetzung und das Monitoring der Projekte. Da haben wir die seltene Gelegenheit, Projektergebnisse zu sehen. Das heißt konkret den geförderten Menschen und ihrer Arbeit zu begegnen und ihre Lebenssituation kennenzulernen. Viele Überlebende sind auch heute noch ehrenamtlich in Selbsthilfegruppen aktiv.

Vor welchen Herausforderungen stehen die von Dir betreuten Projekte und Programme aktuell?

In den letzten Jahren stellte bereits die Covid 19 Pandemie die Überlebenden und ihre Helfer:innen vor große Herausforderungen. Aktuell gilt unsere größte Sorge den Menschen in der Ukraine, die bereits seit sechs Monaten dem Angriffskrieg Russlands auf ihr Land ausgesetzt sind. Für die hoch betagten NS-Verfolgten ist dies eine enorme Belastung. Erneut sind sie Gewalt und Bomben ausgesetzt, müssen um ihr Leben und das ihrer Angehörigen fürchten. Ihre verfolgungsbedingten Traumata werden in solchen Krisen leicht reaktiviert. Manche von ihnen mussten in anderen Landesteilen oder im Ausland Schutz suchen. Unsere Projektpartner:innen in der Ukraine haben in den letzten Monaten großartiges geleistet. Sie haben humanitäre Hilfen für die Überlebenden bereitgestellt, ihnen bei Evakuierungen geholfen und überall, wo es möglich war, die psychosoziale Begleitung fortgesetzt. In Deutschland unterstützt die Stiftung das Hilfsnetzwerk für NS-Verfolgte und vergibt Stipendien für geflüchtete Akteur:innen der Zivilgesellschaft. Diese waren auch in Belarus und Russland zunehmendem staatlichen Druck ausgesetzt, und es wird zunehmend schwieriger, zivilgesellschaftliches Engagement für Überlebende in diesen Ländern zu fördern.

Was war Dein Highlight in der Arbeit für die Stiftung?

Davon gibt es viele. Die großen und kleinen Spenden und Nachlässe, die wir für unsere Arbeit mit den Überlebenden erhalten haben. Das tolle Engagement von hunderten Engagierten in Osteuropa. Aber vor allem: Die Begegnungen mit Überlebenden, die ich kennenlernen und ein Stück ihres Weges begleiten durfte. 

Eine von ihnen, Ljudmila Wenjaminowna Kotscherzhina, hatte ihren Vater im Gulag verloren und wurde als Kind zur Zwangsarbeit nach Süddeutschland verschleppt. Sie hat 30 Jahre den Verband der ehemals minderjährigen NS-Opfer in Dnipro geleitet. Leider ist sie im März letzten Jahres an Covid verstorben. Sie war ein wunderbarer Mensch, klug, mutig und weitsichtig. Ich bin froh, dass ich sie kennenlernen durfte. Ihre Organisation haben wir seit dem Jahr 2003 gefördert. Ljudmila Wenjaminownas Projekt strahlte in die Region Dnipropetrovsk aus, hatte Modellcharakter für kleinere Organisationen. Ljudmila Wenjaminowna  hat ihr Projekt rechtzeitig in die Hände eines engagierten Teams übergeben, so dass ihr Erbe in guten Händen ist und weiter Früchte trägt. Der Verband ist weiterhin eine wichtige Anlaufstelle für die Überlebenden der Region. Hier sehen Sie eine Videobotschaft seiner Mitglieder. 

Datum: 21. April 2021

Nadine, Du arbeitest jetzt in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Stiftung EVZ. Warst du von Beginn an dort oder hast Du vorher in einem anderen Bereich der Stiftung gearbeitet? Gab es damals den Fundraisingbereich noch?

Den gab es zwischenzeitlich, damals aber noch nicht. Ich kam 2008 in die Stiftung und arbeitete auch direkt in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Das war auch mein eigentliches Arbeitsgebiet beim Petersburger Dialog, für den ich vorher arbeitete. 

Du hast Sprachen studiert und in St. Petersburg gelebt. Wie konntest und kannst Du diese Kompetenz in die Stiftungsarbeit einbringen?

Ich habe Kulturwissenschaften und Kulturgeschichte Osteuropas studiert. Ich hatte Russisch schon zu Schulzeiten gelernt und konnte es im Studium dann ausbauen. In St. Petersburg habe ich ein Semester lang studiert und einen Teil meiner Magisterarbeit geschrieben. Neben Russisch war ein Schwerpunkt im Studium das Fach „Medien“ und ich habe in den Semesterferien mehrere journalistische Praktika absolviert – insgesamt acht, von Online und Print über Hörfunk bis TV. Aus der Sprache und dem Fach „Medien“ kann ich sehr viel umsetzen. Journalistisch fällt es mir leicht, schnell Content zu produzieren oder Texte zu schreiben. Russisch ist eine von drei Stiftungssprachen der Stiftung EVZ und hat mir bei der Vorbereitung von Pressereisen in Osteuropa weitergeholfen. Land und Leute zu kennen hilft da sehr.

Durch diese unterschiedlichen Erfahrungen hast du einen guten Vergleichswert zur Arbeit in der Stiftung. Was glaubst Du, ist das besondere an der Kommunikation in der Stiftung EVZ? Was macht es für Deine Arbeit so besonders?

Was die Arbeit und die Stiftung selbst so besonders macht, sind einerseits die sensiblen Themen, die nicht überall und allgegenwärtig besprochen werden. Andererseits ist die enorme Themenvielfalt und die Internationalität der Stiftung besonders. Das macht die Öffentlichkeitsarbeit sehr interessant, aber auch komplex. 

Was war für Dich das Highlight in Deiner Arbeit für die Stiftung? 

Das sind weniger einzelne Projekte als eher ganze Zeiträume. Zum einen der Relaunch 2008/2009. Es gab vorher noch kein Corporate Design, weil der Schwerpunkt bis 2007 auf den Auszahlungen an die ehemaligen Zwangsarbeiter:innen lag. Es wurde weniger Wert auf ein schönes Logo und Farben gelegt. Das war auch richtig so, denn die Menschen sollten das ihnen zustehende Entschädigungsgeld erhalten – unabhängig von der Kommunikation darüber. 

Du hast die Planung für das 10-jährige Jubiläum mitdurchgeführt. Wir, das Team Kommunikation, arbeiten ja gerade an den Kommunikationsplänen für das 20-jährige Bestehen der Stiftung. Was hat sich in diesen zehn Jahren verändert? Wie anders wird die Stiftung heute wahrgenommen?

Ich bin gar nicht sicher, ob sie so anders als damals wahrgenommen wird. Dadurch, dass der Auszahlungsbereich durch die internationalen Verhandlungen und die Verbindung zur Bundesregierung so groß war, hat sich die Wahrnehmung eher verschoben. Die Projekte heute sind kleiner und einteiliger und nicht so politisch relevant wie die Auszahlungen es gewesen sind. Was sich aber natürlich für die Arbeit an sich verändert hat, ist der digitale Bereich. Der ist unheimlich gewachsen. Als ich neu in der Stiftung EVZ war, haben wir noch darüber diskutiert, ob wir Facebook als Kanal wirklich brauchen. Da ging alles rund um Social Media und die Vernetzung durch diese Medien erst los. Das machte einen großen Unterschied für die Arbeit im Bereich Kommunikation, der damals in diesem Ausmaß noch nicht zu erwarten und zu begreifen war. Auch von interaktiven, multimedialen Online-Tätigkeitsberichten war noch nicht die Rede. Wenn ich noch etwas als Highlight bezeichnen darf, dann ist das auf jeden Fall die Kollegialität. Die habe ich selten so in anderen Jobs oder Praktika erlebt. Das ist bemerkenswert. Als ich das erste Mal in Elternzeit gegangen bin, bekam ich ein Kochbuch, mit handgeschriebenen Rezepten von allen Kolleg:innen und eigens dafür entworfenem Logo. Das ist so toll, damit koche ich heute noch.