Deutschlandweit zeigen in diesen Wochen hunderttausende Menschen bei Demonstrationen Gesicht gegen Rechtsextremismus: Vor welchen besonderen Herausforderungen stehen zivilgesellschaftliche Initiativen in Ihren Engagement im ländlichen Raum? „Auch in Mecklenburg-Vorpommern haben die jüngsten Ereignisse und Nachrichten viele Menschen aufgerüttelt. An zahlreichen Orten gibt es Demonstrationen und Aktionen. Es scheint, dass die bislang schweigende Mehrheit aufsteht und ein Zeichen setzt. Und das ist gut so! Die Lage würde ich dabei zwischen angespannt und hochmotiviert bezeichnen.“ – erzählt Dr. Constanze Jaiser vom Verein „RAA – Demokratie und Bildung Mecklenburg-Vorpommern“. Der Verein führt in der Bildungsagenda NS-Unrecht das Projekt überLEBENSWEGE durch. Im Interview für die Rubrik „Kein Platz für Hass“ spricht Constanze Jaiser über die Arbeit des Vereins und ihren Kampf gegen Rechtsextremismus.
Auch in Mecklenburg-Vorpommern haben die jüngsten Ereignisse und Nachrichten viele Menschen aufgerüttelt. An zahlreichen Orten gibt es Demonstrationen und Aktionen. Es scheint, dass die bislang schweigende Mehrheit Gesicht zeigen und sprechen möchte. Und das ist gut so!
Die Lage würde ich dabei zwischen angespannt und hochmotiviert bezeichnen. Angespannt sind wir angesichts menschenverachtender Hassreden in den sozialen Netzwerken, dem Hissen einer Hakenkreuzfahne am Neubrandenburger Bahnhof oder dem Angriff auf den Warener Stadtpräsidenten unmittelbar nach einer Gedenkveranstaltung zum 9. November durch stadtbekannte Rechtsextreme. Seit Wochen gründen sich vielerorts Aktionsbündnisse für Demokratie. Ob das Neubrandenburger Bündnis für Zusammenhalt in der immerhin drittgrößten Stadt in M-V, in der auch unsere Geschichtswerkstatt zeitlupe und weitere Projekte der RAA M-V ihren Sitz haben. Oder das Warener Demokratie-Bündnis in jener schönen Stadt an der Müritz, in der wir als RAA auch unsere Geschäftszentrale haben. Wir beteiligen uns aktiv an diesen Zusammenschlüssen und sind hochmotiviert, wenn wir sehen, wie viele Menschen sich doch in diesen vergleichsweisen kleinen Städten hier zusammenschließen, weil sie konkret etwas tun wollen gegen rechts. Im Mai beteiligen wir uns übrigens zum Tag des Grundgesetzes an einer Graffiti-Kunstaktion in der Landeshauptstadt Schwerin und wollen damit insbesondere den ARTIKEL EINS mit einer Graffiti-Performance im öffentlichen Raum feiern.
Wir als Verein, der sich seit nunmehr 25 Jahren im Mecklenburg-Vorpommern für Demokratie und Bildung gegen Rechtsextremismus und für eine offene Gesellschaft einsetzt, wir haben natürlich mit unseren zahlreichen Projekten viel Erfahrung. Und doch sind auch wir derzeit beunruhigt darüber, wie Werte, die selbstverständlich sein müssten, in irrationaler Art und Weise attackiert werden: sei es Respekt im Umgang miteinander, sei es gewaltfreie Kommunikation, sei es ein Austausch von Argumenten, die tatsächlich auf belastbaren Quellen beruhen. Eine große Herausforderung sehe ich in den anstehenden Kommunalwahlen. Und, damit verbunden, in einer möglichen Radikalisierung von Positionen, wie sie insbesondere von der AfD und rechtspopulistischen Gruppierungen vertreten werden. Wir brauchen im ländlichen Raum unbedingt längerfristige Strukturen und Bündnispartnerschaften, um dem Druck von rechts standzuhalten und kontinuierlich wichtige Impulse für die Demokratie zu geben sowie partizipative Gestaltungsformen eines demokratischen Miteinanders nachhaltig zu etablieren. Ich wünsche mir, dass so ein Flächenland wie Mecklenburg-Vorpommern, mit vergleichsweise wenig Ressourcen, bei zentralen Stellen des Bundes oder großer Stiftungen noch genauer gesehen wird. Wir von der RAA haben ja großes Glück, dass einige unserer Projekte nachhaltig gefördert werden. Auch unser im Rahmen Ihres Förderprogramms Bildungsagenda NS-Unrecht geförderte Projekt überLEBENSWEGE – Lokale Spurensuche & digitale Erinnerungswerkstätten ist eine große Chance, partizipative und innovative Module für die historisch-politische Bildung zu entwickeln. Doch immer geht es bei uns darum, wie wir erfolgreich verlaufene Projektförderungen auch verstetigen können; mit welchen Bündnispartnerschaften, mit welchen Mitteln, mit welchen Akteuren im ländlichen Raum.
Unter unserem Dach der RAA M-V agieren wir gerade mit rund 50 Mitarbeitenden in 19 Projekten im ganzen Bundesland. Ich könnte vereinfacht sagen: Wir engagieren uns alle unablässig für diese Ziele. Gerne möchte ich ein paar konkrete Beispiele herausgreifen: Unser Regionalzentrum für demokratische Kultur berät und qualifiziert zu den Themen Demokratieentwicklung und Rechtsextremismus. Ob Unterstützung bei Krisenfällen in Kommunen oder Beratung für Demokratiepädagogik an Schulen und Kindertageseinrichtungen, ob Elternberatung oder gemeinwesenorientierte Beratung zur kommunalen Demokratieentwicklung: Die Kolleg:innen leisten hier großartige Arbeit. Übrigens hat der Leiter des Regionalzentrums, Dr. Daniel Trepsdorf, soeben das Bundesverdienstkreuz für seinen Einsatz für Menschen- und Bürgerrechte erhalten. Die Fachstelle Mehrsprachigkeit M-V unterstützt Familien, Fachkräfte und Bildungsinstitutionen bei der Entwicklung einer diversitätsbewussten und mehrsprachigkeitsoffenen pädagogischen Praxis und zielt damit auf die Stärkung der Bildungschancen und sozialen Teilhabe aller Kinder und ihrer Familien. Die RAAbatz Medienwerkstatt bietet seit über 10 Jahren spannende medienpädagogische Angebote im Landkreis Mecklenburgische Seenplatte. Ob zu Fake News, zu jüdischem Leben, zu Augmented Reality, ob für Schüler:innen, junge Erwachsene mit Einschränkungen oder Multiplikator:innen, viele Projekte meiner Kollegin Anja Schmidt haben Auszeichnungen erhalten und gelten als „Best Practise“. Unser Projekt perspektywa – Zusammenleben und Beteiligung stärken ist in der Projektregion entlang der Grenze zu Polen angesiedelt, wo aufgrund von Zuzug polnischer Bürger:innen und dem Einpendeln polnischer Beschäftigter eine für Ostdeutschland einmalige Migrationsgesellschaft entsteht. Das perspektya-Team unterstützt diesen Prozess und bietet vielfältige Formate an, demokratiefeindliche Einstellungen abzubauen und Räume für Dialog und Teilhabe zu eröffnen. Sehr wichtige neue Projekte sind auch unsere Fachstelle zur Unterstützung der Arbeit mit geflüchteten Rom:nja in M-V sowie die Antidiskriminierungsberatung in Vorpommern-Greifswald. Das erste Projekt wird mit Mitteln des Landes, das zweite mit Mitteln des Bundes unterstützt. Wie wir hier perspektivisch für Verstetigung sorgen können, wird unsere Herausforderung von morgen sein.