Vika Biran, Projekt Managerin, n-ost

Frau Biran, ihr Projekt thematisiert die Verantwortung der Medien im Kontext der Verfolgung queerer Menschen im Nationalsozialismus und in der Gegenwart: Wie gehen Sie in Ihrer Arbeit vor, um die Verbreitung queerfeindlicher Narrative in den Medien (präventiv) zu bekämpfen?

Propaganda und Gewalt gegen LGBTIQ+-Personen nehmen zu, und die Medien spielen eine Schlüsselrolle bei der Verbreitung homophober und transphober Narrative. „History Unit: Reframing Queer Narratives in Media“ thematisiert diese Verantwortung im Kontext der Verfolgung queerer Menschen im Nationalsozialismus, aber auch in der heutigen politischen Realität. Medien schaffen Diskurse: Die Art und Weise, wie ein Thema in den Medien diskutiert wird, hat einen unmittelbaren Einfluss darauf, wie dieses Thema anschließend gesellschaftlich betrachtet wird. Die Verfolgung homosexueller und transsexueller Menschen im Nationalsozialismus wurde in den Medien im östlichen Europa leider nicht ausreichend thematisiert. Vielen Menschen ist immer noch nicht bewusst, dass diese Opfergruppe ebenso wie Juden:Jüdinnen, Sinti:ze und Rom:nja, sowjetische Kriegsgefangene und andere in Konzentrationslagern ermordet, verfolgt und diskriminiert wurde. Leider findet man auch heute noch in den Medien queerphobische Darstellungen. So hielt es die regierende konservative Partei in Polen bis vor kurzem nicht für nötig, die Rechte von LGBTQ+ Menschen und Frauen zu unterstützen. Es gab sogar so genannte „LGBT-freie“ Zonen – es ist schwer zu glauben, dass wir nicht über Ereignisse von vor 80 Jahren, sondern von vor fünf Jahren sprechen. In Belarus wird derzeit ein Gesetz über die Haftung für so genannte „LGBT-Propaganda“ vorbereitet, das der russischen Gesetzgebung ähnelt. In der Ukraine wurden alle Kräfte, einschließlich der Medien, in den Kampf gegen den russischen Aggressor einbezogen – dies ist jetzt die wichtigste Aufgabe. Parallel zu den Lehren aus der Vergangenheit ist es wichtig, sich daran zu erinnern, dass Medien von Menschen, auch von queeren Menschen, geschaffen werden, die die Probleme ihrer Gemeinschaft aus erster Hand kennen - und diese Ressource sollte genutzt werden.

Vom 9. – 16. Juni veranstalten Sie einen Workshop in Kraków und Oświęcim für Journalist:innen und Aktivist:innen aus Belarus, Polen, Deutschland und der Ukraine: Was ist das Ziel des Workshops und was erhoffen Sie sich in der Zusammenarbeit mit den Teilnehmenden? 

Ziel des Projekts ist es, den öffentlichen Diskurs um historische Perspektiven zu bereichern und die Mainstream-Medien dazu zu bringen, queerfeindliche Rhetorik eindeutig zu verurteilen. History Unit bringt Medienschaffende und Aktivist:innen mit Erfahrung in der Content-Produktion für internationale Workshops zusammen, die sich mit der Verfolgung queerer Menschen während des Nationalsozialismus und in aktuellen Kontexten beschäftigen. Durch Besuche in ehemaligen Konzentrationslagern, durch Diskussionen mit Historiker:innen, Zeitzeug:innen und Grassroot-Aktivist:innen gewinnen die Teilnehmenden Bewusstsein und Wissen für gemeinsame journalistische Projekte. In ganz verschiedenen Formaten werden Themen erforscht, die in den traditionellen Medien manchmal wenig Platz finden, z. B. Homophobie, Transphobie, migrantische queere Geschichte. Durch die Einbeziehung sowohl von Journalist:innen als auch von Aktivist:innen strebt History Unit die Einhaltung professioneller Standards sowie ein vertieftes Wissen über zeitgenössische queere Perspektiven an. Die Ergebnisse werden in den Medien der Zielländer veröffentlicht und bei öffentlichen Veranstaltungen vorgestellt.

Wo sehen Sie persönlich die größte Herausforderung für Medienschaffende und Aktivist:innen in Polen, Belarus und der Ukraine im Umgang mit dieser Thematik?

Als Journalistin arbeite ich mit mehreren (belarussischen) Medien zusammen und weiß sehr gut, wie schwierig es sein kann, eine Redaktion davon zu überzeugen, dass das vorgeschlagene Thema berichtenswert ist. Als Aktivistin weiß ich, wie schwierig es sein kann, eine Einigung mit Medien zu erzielen, die gerne über einen Protest, eine Wahl oder einen Krieg berichten würden, aber nicht genügend Ressourcen haben, um über kleine, alltägliche Diskriminierungen zu schreiben. Oft haben Aktivist:innen und Journalist:innen unterschiedliche Erwartungen, und diese Erwartungen werden nicht erfüllt. Wir hoffen, mehr qualitativ hochwertige journalistische Inhalte zur Verfolgung von queeren Menschen zu erhalten. Um das zu erreichen, schaffen wir Zeit und Raum für den Erfahrungsaustausch zwischen Personen, die in den vier Projektländern Content produzieren. Zudem fördern wir finanziell die journalistische Zusammenarbeit in kleinen internationalen Teams.

Zur Listenansicht