Romanes – die Sprache der Sinti:ze und Rom:nja – ist schon über 2.000 Jahre alt und hat sich durch jahrhundertelange Einflüsse in den verschiedenen Regionen Europas ganz unterschiedlich entwickelt und verändert. Der Verband Deutscher Sinti und Roma, Landesverband Baden-Württemberg e.V. (VDSR-BW) widmete sich in seinem Projekt intensiv dem Romanes der Sinti:ze in Deutschland und Mitteleuropa. Dabei ging es darum, die Grundlagen für die Sprachvermittlung innerhalb der Minderheit nach dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen (GER) zu schaffen und damit Romanes als Identitätssprache zu stärken. Die Sprachvermittlung des Romanes richtet sich dabei ausdrücklich nur an die Angehörigen der Minderheit. Dabei ist ein Rahmenplan entstanden, der zukünftigen Lehrer:innen Orientierung beim Aufbau des Unterrichts geben soll. Warum die Sprachvermittlung des Romanes innerhalb der Minderheit nicht unumstritten ist und wie der Landesverband damit umgeht, lesen Sie im Interview mit dem Romanes-Sprachteam des VDSR-BW, David Strauß und Melody Klibisch.
 

 

Ihr Projekt hat sich mit der Sprache Romanes beschäftigt. Was ist das für eine Sprache, wer spricht Romanes?

Das Romanes gehört zu den indoarischen Sprachen, die zur indogermanischen Sprachfamilie gezählt werden. Wissenschaftler gehen davon aus, dass das Romanes über 2.000 Jahre alt ist. Somit ist es zum Beispiel älter als das Deutsche bzw. sogar das Althochdeutsche. In unserem Projekt ging es gezielt nur um das Romanes der Sinti. Sprachen sind lebendig und wandeln sich stetig. Denken wir beispielsweise an Althochdeutsch und das Deutsch, das in unserer Zeit gesprochen wird. Ähnlich ist es auch mit dem Romanes. Aufgrund von verschiedenen Einflüssen haben sich das Romanes der Sinti und das Romanes der Roma so stark verändert, dass man mittlerweile eher von zwei Sprachen sprechen muss, die jedoch eine gemeinsame Grundlage bzw. einen gemeinsamen Grundwortschatz besitzen.

Was genau haben Sie in dem Projekt gemacht und mit welchem Ziel?

Das Ziel des Projekts war die Erstellung eines Rahmenplans für Romanes als Identitätssprache, eine Handreichung für den Unterricht soll nun folgen. Damit ist für Romanes als Identitätssprache eine Orientierung entstanden, die sich auf die Kompetenzerwartungen in der Sprachvermittlung des Romanes der Sinti bezieht. Zudem ist der Rahmenplan ergebnisorientiert, was heißt, dass er dem Konzept der Standardorientierung folgt und die zu erwartenden Lernergebnisse als verbindliche, fachunterrichtliche Anforderungen in den Mittelpunkt stellt. Diese zu erwartenden Kompetenzen beziehen sich auf das Beschreibungssystem des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen (GER), weshalb sich die zu vermittelnden Strategien demnach auf das Romanes der in Europa lebenden Sinti beziehen. Da es sich bei den zukünftigen Lehrenden um Muttersprachler handelt, die in den meisten Fällen kein Lehramtsstudium genießen konnten, sind in der Handreichung der Aufbau von Unterricht und die Aufgaben des Lehrens kurz umrissen worden.

In den Communities der Sinti:ze ist ihr Vorhaben umstritten. Wie gehen sie damit um?

Um mit einer sprachlichen Klärung zu beginnen: Wir verwenden den Begriff „Sinti:ze“ nicht. Das Wort Sinti ist ein Sammelbegriff bzw. die Bezeichnung für alle Angehörigen der Minderheit und ist auch verschieden von dem Plural, der Sinte lautet. Daher ist der Begriff Sinti inklusiv, während die Bezeichnung „Sinti:ze“ exkludierend wäre.

Um Ihre eigentliche Frage zu beantworten: Es gibt Sinti, die sich lediglich mit der Vergangenheit beschäftigen und vor allem auf die Ungerechtigkeiten der Vergangenheit aufmerksam machen möchten. Natürlich sind das Aufarbeiten und das Erinnern von elementarer Wichtigkeit. Jedoch gilt es, so wie in vielen anderen Situationen auch, darauf zu achten, das Gleichgewicht zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu finden. Aus diesem Grund richten sich sowohl das Projekt des Rahmenplans als auch die weiterführenden Arbeiten an die vielen Personen in der Minderheit, die den Blick auf die Zukunft gerichtet halten möchten. Unserer Auffassung zufolge hat Empowerment nicht nur mit der Stärkung der eigenen Position im Bereich Diskriminierung zu tun, sondern auch mit Befähigung zu Selbstausdruck, Selbstwirksamkeit und Selbstständigkeit und der damit verbundenen Identität bzw. Identifikation – dazu gehört auch ganz entscheidend Sprache.

Als Beleg kann hier auf die – auch von der Stiftung EVZ unterstützte – RomnoKher-Studie 2021 hingewiesen werden, die bestätigt, dass die Selbstorganisationen regelmäßig Anfragen zum Bereich Sprache erhalten. Auch die Zahlen der befragten Personen unter 25 Jahren bestätigen dies, da insgesamt nur 51,7 Prozent angeben, über sehr gute oder gute Romanes-Kenntnisse zu verfügen; und hierbei handelt es sich um die Selbsteinschätzung der Befragten. Zusätzlich soll erwähnt werden, dass 87 Prozent der Befragten unter 25 Jahren angeben, ihre Alltagssprache sei Deutsch, was zeigt, wie wichtig Sprachvermittlung ist, denn viele bezeichnen und sehen Sprache als Teil ihrer Identität, weshalb es ihnen wichtig ist, diese fehlenden Kompetenzen auszubilden.

Welche nächsten Schritte planen Sie und wie wollen Sie das Romanes-Lernen und den Rahmenplan weiter für die Community nutzen?

Als nächster Schritt ist ein Lehrwerk für Romanes als Identitätssprache mit dem Bereich A1.1 und A1.2 geplant. Zeitgleich sollen Fortbildungen für Lehrende stattfinden. Die Materialien werden alle an einer zentralen Stelle hinterlegt, da sie, aus Respekt vor der Furcht vieler Älterer, nicht der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Auf dieser Grundlage kann dann ein Netzwerk von Sprachlehrenden und Sprachschulen in der ganzen Bundesrepublik aufbauen.

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Hinweis zu gendergerechter Sprache

Die Sprache der Stiftung EVZ ist diversitätssensibel und genderneutral ausgerichtet. So unterstreicht sie auch in einem formalen Sinn den Einsatz der Stiftung für eine plurale und gerechte Gesellschaft, für Menschenwürde, für marginalisierte Gruppen und gegen Diskriminierung und Ausgrenzung. Stereotype Geschlechterrollen und exkludierende Benennungen in der Sprache zu vermeiden, gehört zu den Kommunikationszielen der Stiftung EVZ. 

Gemäß ihrem Leitfaden Faire Sprache verwendet die Stiftung EVZ den Genderdoppelpunkt, um auch nichtbinäre und diversgeschlechtliche Personen typografisch sichtbar zu machen und einzubeziehen. Neben dem Genderdoppelpunkt werden in der Sprache der Stiftung EVZ für mehr sprachliche Varianz in der gleichberechtigten Ansprache Formen wie Kollektivbezeichnungen oder die direkte oder genderneutrale Anrede verwendet. 

Der Debatte zu gegenderten Formen der Rom:nja und Sinti:ze (Roma und Sinti) ist sich die Stiftung EVZ bewusst. Von queeren und feministischen Organisationen, Aktivist:innen und Personen wird die Selbstbezeichnung gegendert, um eine inklusive Ansprache aller Menschen zu ermöglichen. Im Bemühen um respektvollen Umgang mit den heterogenen Argumenten Für und Gegen das Gendern der Selbstbezeichnung, tauschen sich Vertreter:innen der Stiftung regelmäßig mit Vertreter:innen der Minderheit aus. 

Vor dem Hintergrund einer ganzheitlich-fairen Stiftungssprache hat sich die Stiftung EVZ entschieden, weiterhin von Rom:nja und Sinti:ze zu sprechen und zu schreiben. 
Diese sprachliche Verwendung bezieht sich auf die externe Kommunikation der Stiftung EVZ selbst und ist keine Vorgabe für Dritte, wie z.B. geförderte Projektträger.