Ilse Weber

„Nach Haus! – du wunderbares Wort, du machst das Herz mir schwer.“ Es sind klingende Zeugnisse, die uns Ilse Weber aus dem als „jüdische Mustersiedlung“ bemäntelten Konzentrationslager Theresienstadt hinterließ. Die 1903 in Mährisch Ostrau (Ostrava) geborene Jüdin hatte vor ihrer Deportation erfolgreich Geschichten, Hörspiele, Märchen und Theaterstücke veröffentlicht. Im Lager gab die zweifache Mutter – ein Sohn konnte ins schwedische Exil gerettet werden, ein zweiter war mit ihr in Theresienstadt – als Helferin im Kinderkrankenhaus mit ihren Worten Trost und Hoffnung.

Ilse Webers Lyrik überlebte die Gräuel der Nationalsozialisten, auch wenn sie und ihr Sohn Tomáš es nicht taten: In einem Theresienstädter Schuppen versteckt, sicherte ihr Mann Lieder und Gedichte. Viele weitere wurden mündlich weitergegeben und konnten nach dem Krieg von der Familie aufgeschrieben werden. Es sollte noch mehrere Jahrzehnte dauern, bis die mühsam geretteten Texte wieder rezitiert werden und erklingen konnten. Erst 1991 erschien der Sammelband „Innerhalb dieser Mauern lebt das Leid“.

Im Projekt „Ich wandre durch Theresienstadt“  setzen sich Schüler:innen mit Biografien und Werk von Ilse Weber und den ebenfalls im Ghetto inhaftierten Komponisten Pavel Haas und Hans Krása auseinander. Ein Projekt von Jugend- & Kulturprojekt e. V. in Kooperation mit dem Ensemble OPUS 45

Zum Weiterhören: musica reanimata: 82. Gesprächskonzert.  Eine Aufnahme des Deutschlandfunks vom 22. Mai 2008. Die Dichterin und Sängerin Ilse Weber

Charlotte Charlaque

Charlotte Curtis Charlaque, Charlotte oder Carlotta von Curtis oder Baronin von Curtius: Die Vielschichtigkeit der Charlotte Charlaque drückt sich in den Namen aus, die sie sich gab. Bereits mit sieben Jahren wusste die als Curt Scharlach in eine jüdische Familie Geborene, dass sie sich nicht mit ihrem biologischen Geschlecht identifizierte und als Frau leben wollte. 1929 wurde die operative Geschlechtsangleichung durchgeführt. Damit gehört Charlotte Charlaque zu den ersten Personen, die auf diese Weise ihre Geschlechtsidentität verändert haben. Für die Kosten des Eingriffs kam ein Arzt des „Instituts für Sexualwissenschaft“ auf, in dem Charlotte Charlaque auch arbeitete. Das Institut war Anlaufstelle für Menschen mit „sexuellen Zwischenstufen“, wie der Gründer Magnus Hirschfeld Homosexuelle oder Transpersonen bezeichnete.Vor queerfeindlichen, bald auch antisemitischen Anfeindungen floh Charlotte Charlaque gemeinsam mit ihrer Freundin erst nach Karlsbad, dann nach Prag. Als sie in das Ghetto Theresienstadt deportiert werden sollte, gelang ihr über Umwege und mit viel Überzeugungskraft die Flucht in die USA. In New York führte sie ein bescheidenes Leben.

Sie trat als Schauspielerin und Sängerin auf und war bekannt als die „Königin der Brooklyn Heights Promenade“. 1963 starb sie in New York, wo sie bis zu ihrem Tod vielen Künstler:innen nahestand und zu geschlechtsangleichenden Operationen öffentlich Stellung nahm: So war Charlotte Charlaque eine der ersten Aktivist:innen für die Rechte von Transpersonen.

Im Projekt „Remapping Refugee Stories 1933–53“  werden Fluchtgeschichten von Menschen, die Opfer von NS-Unrecht geworden sind, in Texten, Bildern und Filmen sowie auf einer interaktiven Weltkarte neu oder erstmals erzählt. Ein Projekt der Universität Wien

Zum Weiterlesen: Wolfert, Raimund: Charlotte Charlaque. Transfrau, Laienschauspielerin, „Königin der Brooklyn Heights Promenade“

Vladimir Perić Walter

Es ist die letzte Szene, die dem Film und dem namensgebenden Partisanen ein Denkmal setzt: „Sehen Sie diese Stadt?“, fragt ein deutscher Soldat den anderen und zeigt auf Sarajevo. „Das ist Walter.“ Der 1972 erschienene Film „Valter brani Sarajevo/Walter defends Sarajevo“ erzählt von Vladimir Perić, besser bekannt unter seinem Kampfnamen Walter. 1919 in Prijepolje geboren, trat er mit 21 Jahren in die kommunistische Partei Jugoslawiens ein. Im Jahr der Besetzung Jugoslawiens durch die deutsche Wehrmacht, 1941, schloss er sich dem bewaffneten Widerstand gegen die Deutschen an. Den Aktionen der Widerständler:innen folgten brutale Vergeltungsaktionen. Zehntausende Menschen fielen Massentötungen zum Opfer. Vladimir Perić selbst wurde Anfang April 1945 von einem deutschen Soldaten mit einer Handgranate getötet. Er war eines der letzten Kriegsopfer in Sarajevo im Zweiten Weltkrieg.

Vladimir Perić Walter gibt dem Widerstand in den überfallenen Ländern einen Namen. Seine Geschichte zeigt uns auch auf, wie wenig hierzulande und in Europa bekannt ist über jene mutigen Menschen, die versuchten, sich den Nazis zu widersetzen. Anders in China: Dort ist der Film über die historische Figur Walter berühmt. Die chinesischen Cineast:innen machten den Film zu einem der meistgesehenen aller Zeiten und noch heute besuchen Tausende Tourist:innen aus China das Filmmuseum in Sarajevo.

Im Projekt „Wer ist Walter?“  werden der Widerstand gegen den Nationalsozialismus in Europa und der Umgang mit Widerstandskämpfer:innen nach 1945 in einer Ausstellung, einer Publikation und einem pädagogischen Online-Portal sichtbar gemacht. Ein Projekt der crossborder factory

Zum Weiterschauen: Valter brani Sarajevo/Walter defends Sarajevo, Film von Hajrudin Krvavac, 1972

Paul Goesch

Gedichte, Architekturskizzen, Aquarelle – gar eine eigene Sprache, die er aus griechischen und lateinischen Wörtern zusammensetzte: Die Schaffenskraft des 1885 in Schwerin geborenen Künstlers Paul Goesch mündete in rund 2.000 Werken. Er war in verschiedenen Künstler:innengruppen aktiv – die Avantgarde des anbrechenden Jahrhunderts war seine Heimat. Dass sein Werk damit in der NS-Ideologie der künstlerischen Gleichschaltung keinen Platz haben sollte, zeigte sich 1937. Zahlreiche Bilder von Paul Goesch wurden beschlagnahmt und sein Werk als „entartete Kunst“ denunziert. 
Psychische Krisen sind in Goeschs Lebenslauf früh vermerkt – nach Stationen in mehreren Sanatorien wurde er im Oktober 1934 in die Nervenheilanstalt Teupitz verlegt. 1940 wurde Paul Goesch in der Tötungsanstalt Brandenburg an der Havel ermordet.
 

In der „Aktion T4“ töteten die Nationalsozialisten mehr als 70.000 Menschen – weil diese aufgrund ihrer körperlichen, geistigen und seelischen Krankheiten oder sozialen Stigmatisierung als „lebensunwert“ eingestuft wurden. Wie seine Geschichte lagerten auch Goeschs Werke lange in Archiven. Ein Freundeskreis will das ändern. 2016 wurde er als „Visionär der Moderne“ in der Berlinischen Galerie gezeigt. Das amerikanische Clark Art Institute widmete ihm 2023 eine Schau.

Im Projekt „Ausstellungsmacher:innen gesucht! Erinnerung gemeinsam gestalten“ kuratieren Menschen – jung und alt, museumsnah und museumsfern – Ausstellung und Street Art zum Leben des Künstlers.   
Ein Projekt der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten in Kooperation mit Stadtmuseum Brandenburg an der Havel und der Kinder- und Jugend-Kunst-Galerie "Sonnensegel" e.V.

Zum Weiterblättern
Visionäre der Moderne: Paul Scheerbart, Bruno Taut, Paul Goesch. Katalog zur gleichnamigen Ausstellung in der Berlinischen Galerie, 2016

Autorin: Katrin Kowark