Wie wir kooperative digitale Geschichtsprojekte schaffen, die bleiben

Wie wir kooperative digitale Geschichtsprojekte schaffen, die bleiben

Ein Gespräch mit Angela Jannelli und Franziska Mucha vom Historischen Museum Frankfurt am Main über die digitale Erinnerungsplattform „Frankfurt und der Nationalsozialismus“
Das in der Bildungsagenda NS-Unrecht geförderte Verbundprojekt mit dem Jüdischen Museum Frankfurt und dem Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main (ISG) hat mehr als 15.000 Datensätze gebündelt, aufbereitet und über eine Website und eine App abrufbar gemacht.

 

In Frankfurt am Main gibt es eine große Anzahl von zivilgesellschaftlichen Institutionen und Vereinen, die sich für die Aufarbeitung und Sichtbarmachung von NS-Unrecht in der Stadt einsetzen. Wie kommt es, dass es so viele Akteur:innen gibt?

Jannelli: Das liegt gewiss auch an Frankfurt selbst. Wir labeln die Stadt gern als kritische Stadt, weil hier die Kritische Theorie der Frankfurter Schule entstanden ist. Frankfurt war eines der Zentren der 68er-Studierendenbewegung. Diese Faktoren haben sicher den Aufarbeitungswillen und die Bereitschaft zur kritischen Hinterfragung der Geschichte gestärkt. Außerdem ist die Stadt recht klein. Da ist es leicht, Netzwerke zu knüpfen, weil man sich schlicht und ergreifend oft über den Weg läuft und gemeinsame Themen entdeckt. Und es gab aufseiten der Kommune eine Leerstelle: keine offiziellen Erinnerungsprojekte. Und diese Lücke haben dann die zivilgesellschaftlichen Initiativen gefüllt. 

Was waren die Herausforderungen im Projekt bei der Zusammenarbeit zwischen den unterschiedlichen Institutionen? Haben sich während des Projekts neue Netzwerke gebildet und haben Sie als Projektkuratorinnen auch Überraschungen erlebt?

Jannelli: Durch unsere Ausstellungsprojekte „Frankfurt und der Nationalsozialismus“ hatte unser Museum schon Kontakte zu den Initiativen. Im Spurensuche-Stadtlabor gab es zum Beispiel eine „Galerie der Initiativen“, in der sich die verschiedenen Akteur:innen präsentieren konnten. Mit der Plattform wiederum konnten wir dann nochmals die Arbeit der Initiativen gut sichtbar machen. 
Am Wochenende des Projektlaunchs war es trotzdem wieder überraschend, die Vielfalt und die unterschiedlichen Perspektiven der beteiligten Initiativen zu sehen. Die Anwesenden haben ihre Inhalte gezeigt, noch mal diskutiert, haben auch die App ausprobiert und uns Feedback gegeben und sie haben sich auch gegenseitig kennengelernt. 

Mucha: Ein digitales Projekt, das erst mal online verortet ist, hat zu solchen Begegnungen im realen Raum geführt. Und dabei sind wiederum einige neue Projektideen entstanden. Schüler:innen, die im Schultheaterstudio Videos zu Denkmälern gedreht haben, sind mit der Stolperstein-Initiative zusammengekommen und konnten ihre Auseinandersetzung mit dem Engagement anderer Ehrenamtlicher verbinden.

In Ihrem Projekt haben Sie auch auf alte Quellenbestände zurückgegriffen und ihnen mit digitalen Möglichkeiten eine neue Bestimmung geben können …

Mucha: Wir achten gemäß dem Digital Content Life Cycle beim Digitalisieren von Anfang an darauf, dass die Daten weiter nutzbar sind, dass sie angereichert werden, dass sie gut beschrieben werden, dass sie auffindbar sind. Und die Daten werden gebündelt an einem Ort zusammengeführt. Die drei Elemente unseres Projekts (die Gedächtnisplattform, die Frankfurt History App und der Datenpool der Stadt, das METAhub Framework) bilden zusammen eine richtig gute Infrastruktur. Daten werden nicht nur aufbereitet, sondern auch an einem zentralen Ort gespeichert. Kleinere Initiativen und Vereine haben dadurch die Möglichkeit, ihre Inhalte sichtbar zu machen und zur Verfügung zu stellen. 

Jannelli: Ich glaube, dass es wichtig ist, dass wir mehr solche nachhaltigen Projekte anstoßen. Es ist für die Nutzer:innen einfacher, wenn es einen zentralen Ort gibt, und für die Datenqualität besser, wenn das erarbeitete Wissen gebündelt ist. 
Aber es ist auch komplex, weil so viele Leute und Institutionen involviert sind. Nachhaltig zu sein ist leider nicht einfacher, sondern sehr viel komplizierter, weil ich eine andere Zeitebene und mehr Beteiligte habe. Das muss in Projekten mitgedacht, mitfinanziert und mit Ressourcen ausgestattet werden.

Wenn wir über den digitalen Raum reden und die Möglichkeiten, die auch soziale Medien bieten, heißt das dann automatisch, dass etablierte Institutionen ein Stück ihrer Deutungshoheit abgeben müssen?

Jannelli: Partizipation ist für uns ein Kernwert des Museums. Wir arbeiten schon lange nach dem Grundsatz der geteilten Expertise und haben deshalb gar nicht das Gefühl, uns geht irgendwas verloren oder wir müssen irgendwas teilen. Ganz im Gegenteil, wir kriegen ja viel mehr dazu. Es gibt so viel spezialisiertes Wissen, das Menschen aus Interesse in vielen Jahren angesammelt haben. Das könnte kein Kurator, keine Kuratorin in der Tiefe haben. Warum sollten wir diese Leute ausschließen? Wir sind vielleicht ein Korrektiv und prüfen: Ist das valides Wissen oder sind es Fake News? Aber wir verlieren keine Deutungshoheit. Wir geben gewiss Macht ab. Aber dann wird es auch interessanter, fundierter und vielseitiger, wenn man anderen Raum gibt und sie zu Wort kommen lässt.

Mucha: Für Museen stellt sich die Frage, auf welchen Plattformen sie aktiv sind. Das ist ressourcenabhängig. Grundsätzlich ist es sinnvoll, sich einzumischen und die Kultur der Digitalität mitzubestimmen. Sonst verliert man an Relevanz. Und Museen müssen eine Haltung entwickeln, wie sie sich im Netz gegenüber antidemokratischen Bewegungen verhalten. Sie können mit ihren Projekten Gegenpole setzen. Sie können Menschen dabei unterstützen, sich zu positionieren. Die Art und Weise, wie das Internet und besonders wie Social Media funktionieren, heißt aber auch für Institutionen wie Museen, dass sie Stellung beziehen und eine entsprechende Kommunikation finden müssen. Das bedeutet für viele Institutionen sicher eine Umstellung.

Wie geht es denn weiter mit der Gedächtnisplattform? 

Jannelli: Die App kriegt eine Erweiterung zur Demokratiegeschichte anlässlich des Paulskirchenjubiläums. 

Mucha: Sie wird künftig weiterwachsen und ein Ort für ganz unterschiedliche Geschichtsthemen sein. Dann haben wir die Idee, dass wir auch aus der App, aber auch aus anderen Elementen des Museums Open Educational Resources bauen, also Inhalte ganz spezifisch für Lerngruppen weiter nutzbar machen. Da starten wir wahrscheinlich Ende des Jahres ein Projekt, das dort anknüpft. 

Jannelli: Mir ist es auch ein persönliches Anliegen, die vielen Zeitzeug:inneninterviews, die die Frankfurter Initiativen und Privatpersonen über Jahrzehnte aufgenommen haben, mindestens zu sichern. Es gibt unzählige Audio- und VHS-Kassetten, die in irgendwelchen Bücherregalen und Kellern schlummern. Die Interviews sind auch ein Vermächtnis der Überlebenden, mit dem wir als Gesellschaft, aber auch als Gedächtnisinstitution umgehen müssen. Wir müssen es annehmen, pflegen und verwalten. In einem nächsten Projekt wollen wir uns genau darum kümmern.

Haben sich denn schon andere deutsche Gemeinden oder Städte bei Ihnen gemeldet, die ähnliche kooperative Projekte planen?

Mucha: Ich habe neulich das Projekt auf einer Tagung vorgestellt. Und die Diskussion hat gezeigt, dass diese Idee, Daten zu bündeln und zentral zur Verfügung zu stellen, viele Akteur:innen umtreibt. Es ist schön, dass wir mit dem Projekt so ein Beispiel geben können. 


Das Gespräch führten Leonore Martin und Sophie Ziegler.