Rezension vom Filmkritiker Knut Elstermann

Überall im Land gibt es solche „Deutschen Häuser“, Gastwirtschaften, in denen die Zeit stehen geblieben zu sein scheint. Deutsche Gerichte und deutsches Bier kommen auf den Tisch, Klöße und Gänsebraten. In Annette Hess´ Serie „Deutsches Haus“, nach ihrem gleichnamigen Roman, vermeint man den Mief im Gastraum förmlich zu riechen, dieses schwere Essen, den Zigarettenrauch, die schwitzenden Menschen. Das „Deutsche Haus“ steht in Frankfurt am Main, ein in die Jahre gekommenes Gebäude, das den Krieg überstanden hat. Das Geschäft floriert wieder im Wirtschaftswunderland, in der Stadt sehen wir die hastig hochgezogenen, leuchtenden Neubauten. Die Gaststätte ist stets gut besucht. Man kann sich wieder etwas leisten.

Edith Bruhns hält als erfahrene Wirtin den Laden mit Strenge zusammen, nimmt unermüdlich Bestellungen auf und serviert, während ihr Mann Ludwig in der Küche gewaltige Portionen auf die Teller bringt. Anke Engelke und Hans-Jochen Wagner spielen die beiden als subtile Studien spießiger Zufriedenheit. Sie beruht auf kompletter Verdrängung, wie sich später zeigen wird. 

Eine ihrer beiden Töchter wird als Polnisch-Dolmetscherin, die bisher nur für geschäftliche Belange tätig war, zum ersten Auschwitz-Prozess 1963 herangezogen. Warum Eva Polnisch spricht, erklärt sich in den Folgen erst nach und nach, eines der vielen dunklen Geheimnisse, die fast jede Figur mit sich trägt. Anfangs völlig überfordert und naiv, wächst die junge Frau in ihre historische Aufgabe hinein. Sie übersetzt atemlos und um Fassung ringend die Aussagen der Opfer, beim Sprechen erst das Ungeheuerliche begreifend. Eva wie Katharina Stark sie voller jugendlicher Energie spielt, ist eine sympathische Identifikationsfigur.

Sie erscheint als eine Einladung gerade an junge Zuschauerinnen und Zuschauer, diesem epochemachenden Prozess zu folgen, dieser juristischen und persönlichen Wahrheitsfindung, die schließlich Verstrickungen von Evas eigener Familie aufdecken wird. Annette Hess, die auch die Showrunnerin war, erzählt die eindrückliche Geschichte einer schmerzlichen Erkenntnis, das Durchbrechen des kollektiven Verdrängens, in der deutschen Öffentlichkeit ausgelöst vom Auschwitz-Prozess. Zehn Jahre hatte der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, charismatisch von Thomas Bading gespielt, diese Verhandlung vorbereitet, gegen die Widerstände einer schweigenden Gesellschaft. 

Die Autorin und die Regisseurinnen Isabel Prahl (Folgen 1-3) und Randa Chahoud (Folgen 4-5) entwerfen ein anschauliches Panorama dieser westdeutschen Nachkriegswelt, in einer durchaus unterhaltsamen Verschränkung von aufkommendem Wohlstand und Modernität und noch lange nachwirkenden, überkommenen Haltungen. So muss Eva ihre Berufstätigkeit gegen das ausdrückliche und gesetzlich legitime Arbeitsverbot ihres Verlobten Jürgen ( Thomas Prenn) durchsetzen. Das „Deutsche Haus“ ist auch die Geschichte einer weiblichen Emanzipation im Adenauer-Deutschland. 

Konsequent durchbrechen die Folgen, mit der eindringlichen, atonalen Musik von Dascha Dauenhauer, gefällige Konventionen des seriellen Erzählens. Lange Passagen der kaum erträglichen Anklageschrift  werden verlesen, Mord für Mord, denn es ging im Prozess letztlich um den Nachweis der individuellen Schuld in konkreten Einzelfällen. Dem Vorlesenden, glänzend von Matthias Luckey gespielt, versagt dabei die Stimme. Solche winzigen Störungen im juristischen Ablauf drücken unendlich viel über die ungeheuerliche Dimension der Verbrechen aus. Eine vom Richter Hans Hofmeyer, souverän von Uwe Preuss verkörpert, auf dem Gelände von Auschwitz angeordnete Schweigeminute dehnt sich in realer, stiller Länge.

Den Aussagen der Zeugen wird ausführlich Raum gegeben. Diese Gerichtsszenen sind ohnehin die stärksten Momente in der Serie, in denen die Opfer mit großer Würde und sichtbarer Bewegung auftreten. Man spürt immer, dass nur zwanzig Jahren seit dem Ende des Grauens vergangen sind. 

Annette Hess hat einige Details erzählerisch klug verdichtet, so gab es im realen Prozess sieben statt wie hier nur zwei Anwälte. Aber die Zeugnisse der Überlebenden wurden mit großem Respekt wörtlich übernommen, auch andere, wichtige Fakten entsprechen sehr genau dem tatsächlichen Geschehen, etwa die damals fast unmögliche Recherche-Reise des deutschen Gerichts zum, im sozialistischen Polen gelegenen, deutschen Vernichtungslager Auschwitz. 

Einige der besten und bekanntesten deutschen Schauspieler zeigen in der Serie ihre große Gestaltungskraft und verleihen den Figuren erschütternde Glaubwürdigkeit und Tiefe: Heiner Lauterbach als der sadistische SS-Mörder im Biedermann-Gewand Wilhelm Boger, Henry Hübchen als schwer traumatisierter, in Demenz versinkender, ehemaliger Kommunist Walther Schoormann, Aaron Altaras als jüdischer Anwalt David Miller, der unter der Scham des Überlebens leidet. Iris Berbens Aussage vor Gericht als vor Schmerz und Hass bebende Jüdin Rachel Cohn, die alles verloren hat, ist eine der bewegendsten Szenen der Serie. Es geht hier immer um das Leid der Opfer, auch der Millionen Ermordeter, die unhörbar bleiben.

Eva sucht in Polen vergeblich Trost und Verzeihung bei den Überlebenden, auch das eine großartige, bittere Szene. Vielleicht wird sie später zu den Demonstrierenden von 1968 gehören, die mit ihren Protesten die Bundesrepublik veränderten und demokratisierten. Der erste Auschwitz-Prozess war der Auftakt dazu, das macht diese Miniserie eindrucksvoll deutlich.

Interview mit Anke Engelke

Im großartigen Schauspielensemble der Miniserie „Deutsches Haus“ ist auch Anke Engelke zu sehen als Wirtin Edith Bruhns, die wie die meisten deutschen Figuren im Film ihre Vergangenheit ausblendet. Während ihre Tochter Eva im ersten Auschwitz-Prozess übersetzt und täglich mit dem Grauen konfrontiert ist, versucht die Mutter den Anschein von Normalität zu erwecken, obwohl auch ihre Familie in die Untaten des Nazi-Regimes verstrickt ist. Das ist eine durchaus typische Haltung im Nachkriegsdeutschland. Knut Elstermann hat mit Anke Engelke über die Arbeit an dieser Miniserie gesprochen:

Diese Edith, die Sie spielen, hat ihren Laden festim Griff. Ist ihre gut besuchte Gaststätte das „Deutsche Haus“ so etwas wie der Mittelpunkt der Serie, die Bühne des Nachkriegslebens in der Bundesrepublik?  

Anke Engelke:  Interessant, dass Sie das sagen, denn ich denke eher, der Mittelpunkt ist natürlich der Gerichtssaal, Ort der Auschwitz-Prozesse von 1963 bis 1965. Entscheidend in der Serie ist die Schilderung der Verhandlungstage dort. Aber es stimmt schon, und das wurde mir erst spät bewusst, dieses „Deutsche Haus“ steht pars pro toto in der Serie und im Roman wie ein Sinnbild für ganz Deutschland in dieser Zeit, von Verdrängung bis Vergnügen, für den Muff, aber auch den Wunsch der Jüngeren nach Transparenz. Alles steckt in diesem Haus, in dieser Gaststätte. 

Eva, eine der beiden Töchter von Edith, gehört zu dieser jungen Generation, die nach der Wahrheit sucht. Ist Edith mit ihrer Verdrängung der eigenen Vergangenheit ein Gegenentwurf zur Tochter?

Anke Engelke:  Ja, so ist es und ich habe es als ein großes Gewicht auf meinen Schultern empfunden, diese Rolle so auszufüllen, dass man das Verdrängen wahrnimmt, aber auch etwas Mütterliches in ihr sieht. So ambivalent ist die Figur angelegt und das war eine große Herausforderung für mich. Diese Frau wusste viel. Es ist ja inzwischen allgemeines Wissen: Auch diejenigen, die nichts getan haben, aber Bescheid wussten, machten sich auch schuldig, weil sie es nicht verhindert haben. Ich hatte an dieser Rolle wirklich hart zu arbeiten. Am besten bewältigt man solche Herausforderungen, wenn man keine Angst hat und ich konnte hier ganz angstfrei sein. Das lag auch daran, dass hier so sorgfältig gearbeitet wurde und ich mich jederzeit an das Team wenden konnte. So hatte ich mir gewünscht, als Edith immer nur in hohen Schuhen durch das Gasthaus gehen zu dürfen. Sie wollte früher mal zum Theater, und nun ist das Gasthaus ihre Bühne, da geht sie nur hochhackig durch den Schankraum, dachte ich mir. Das wurde dann auch so gemacht. Mir taten natürlich die Füße abends weh. 

Warum war es Ihnen so wichtig, bei diesem Projekt dabei zu sein?  

Anke Engelke: Mich hat diese Rolle schauspielerisch sehr interessiert, diese zwiespältige Mutterfigur. Zudem schätze ich die Arbeit von Annette Hess sehr und mit den beiden Regisseurinnen, Isabel Prahl und Randa Chahoud, habe ich schon gedreht. Ich konnte ihnen ganz vertrauen und fühlte mich in einem geschützten Raum, in dem ich sehr besondere Erfahrungen machen konnte. Wir haben auch in Polen gedreht, da spürte ich die Nähe der Geschichte ganz unmittelbar. Die Menschen dort haben alle einen persönlichen Bezug zu diesem Thema, viele von ihnen sind dann im Gerichtssaal als Zuhörer zu sehen. 

Ist das unterhaltsame Serienformat ein geeignetes Medium für die Vergangenheitsaufarbeitung, vielleicht gerade für Jüngere ?

Anke Engelke: Ich habe darüber auch lange nachgedacht und hatte durchaus die Befürchtungen, es könnte kitschig, oberflächlich oder sogar zynisch werden. Doch das Ergebnis ist zum Glück ganz anders geworden. Ich finde das ist genau das richtige Format, eben auch für Jüngere, die keinen unmittelbaren Zugang zum Thema mehr haben. Für sie ist das alles sehr weit weg. Es gibt natürlich die Geschichtsbücher, man kann jederzeit alles recherchieren. Man kann zu den Gedenkstätten fahren, nach Auschwitz, in die ehemaligen Lager. Das kann man alles tun und man soll es tun, auch ich war dort. Aber begleitend bietet auch der Film einen sehr guten Zugang, es eröffnet emotionale Wege zur Aufklärung. Das ist ein sehr anschauliches,  legitimes Mittel. 

Weitere Informationen zur Serie

Den Trailer zu Serie finden Sie hier. Die ganze Serie Serie können Sie auf Disney+ streamen. 
„Deutsches Haus“ ist eine Produktion von Gaumont GmbH für Disney+. Gefördert wird die fünfteilige Mini-Serie vom Polish Film Institute und dem Ministry of Culture and National Heritage of the Republic of Poland.