Im Gespräch: Thomas Schöndorfer vom Verein „Sie waren Nachbarn“

Was ist das Konzept des Schaukastens und was thematisiert er?

Der Schaukasten steht vor dem Rathaus Tiergarten, hat eine Größe von ca. 300 x 180 cm und wird vom Bezirk Mitte Vereinen, Initiativen, Künstlerinnen und Künstlern und Anderen, die hier im Kiez leben und tätig sind, zur Verfügung gestellt. Der Verein „Sie waren Nachbarn“ kann den Schaukasten in den Monaten November und Dezember bestücken, um über seine Arbeit zu informieren und eigene Projekte vorzustellen. Dieses Jahr präsentierten wir eine Ausstellung zum Thema „Krankenhaus Moabit“. Eine Arbeitsgruppe des Vereins recherchierte im Laufe des Jahres zum ehemaligen Krankenhaus Moabit, das es seit Ende der 80er Jahre als städtische Klinik nicht mehr gibt. Zentrale Themen waren für uns die verdienstvolle Arbeit von jüdischen Ärztinnen und Ärzten dort. Sie wurden nach der Machtübergabe an die Nazis ausnahmslos entlassen und verfolgt. Ferner erinnerten wir an die von dem Arzt Georg Groscurth und dem Physiker Robert Havemann geleitete Widerstandsgruppe, die gegen den Terror der Nazis kämpfte. Mit Hilfe von Texten auf Schautafeln und einem mit Holzklötzchen nachgebildeten Modell des Krankenhauses informierten wir Interessierte über dessen Geschichte. 

Der Schaukasten wurde vom Verein „Sie waren Nachbarn“ erstellt – wer oder was steckt dahinter?

Wir sind ein Verein, der sich um jüdisches Leben – nicht nur, aber vor allem – in Moabit kümmert. Dazu arbeiten wir seit 2011. Ein großes Banner, auf dem stand, „Von hier aus fuhren Züge ins Gas“, wurde von uns 2015 an der am Gedenkort Güterbahnhof Moabit vorbeiführenden Ellen-Epstein-Straße aufgehängt. Es wurde mehrmals beschädigt.
Von uns wurden Listen von deportierten und in den Ghettos und Vernichtungslagern der Nazis ermordeten Jüdinnen und Juden erstellt und in den Schaufenstern des ehemaligen Kaufhauses Hertie in der Turmstraße ausgestellt. Unter anderem erstellten wir einen Audiowalk. Dieser führt Interessierte entlang des Weges, den Jüdinnen und Juden vom Sammellager in der ehemaligen Synagoge Levetzowstraße zum Deportationsbahnhof Moabit gehen mussten. Der Audiowalk kann kostenfrei aufs Handy oder Smartphone heruntergeladen werden. Seit kurzem sind von uns geschaffene Hörstationen an markanten Punkten entlang des Deportationsweges installiert. Auf Knopfdruck können dort Ausschnitte des Audiowalks auf Deutsch oder Englisch gehört werden. Weitere Themen, die auch Gegenstand einer Ausstellung im Schaukasten waren, sind „Unterbringungsorte für Zwangsarbeitende in Moabit“ und „Jüdische Gewerbe in Moabit“. Im Moment ist eine Arbeitsgruppe dabei, Materialien zusammenzustellen, die wir Schulen anbieten wollen, die sich mit den Themen Antisemitismus und jüdisches Leben beschäftigen.

Wie geht es nach dem Brandanschlag weiter?

Es gibt kein Bekennerschreiben. Für uns ist klar, dass Judenfeinde am Werk waren. Eine kurze Zeit stand der zerstörte Inhalt des Schaukastens als Mahnmal für diese schändliche Tat. Mit einem großflächigen Plakat „Gegen jeden Antisemitismus“ und einer Erklärung zu dem Anschlag dokumentierten wir unsere Position. Danach wurde die Ausstellung mit neu gedruckten Tafeln in dem Schaukasten wieder aufgebaut, der nach wie vor von dem Brandanschlag gezeichnet ist. Mit dieser Reaktion wollen wir zeigen, dass wir uns nicht einschüchtern lassen und unser Anliegen, jüdisches Leben in Moabit zu zeigen und entschieden gegen Judenhass aufzutreten, weiter unbeirrt verfolgen.
Die Entwicklung der Dinge hier und in Israel/Gaza zeigen auch, dass wir unsere Anstrengungen, mit jungen Menschen über die Schulen ins Gespräch zu kommen, verstärken müssen. Die schlichte Wahrheit, dass Jüdinnen und Juden weder schlechter noch besser sind als Nichtjuden, muss Allgemeingut werden. Diese simple Erkenntnis bei möglichst vielen Menschen zu verankern, halten wir für ein taugliches Mittel, Antisemitismus zu bekämpfen.

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