Am 13. Februar jährt sich der Brandanschlag auf das Gebäude der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern in der Reichenbachstraße 27. Es war das „Herzstück der jüdischen Gemeinschaft“, erklärt Dr. Charlotte Knobloch, Präsidentin der Kultusgemeinde. Zum Zeitpunkt des Anschlags waren im Haus Bewohner:innen des jüdischen Seniorenheims und externe Gäste untergebracht. Sieben Menschen starben – allesamt Überlebende des NS-Terrors. „Dieser Anschlag war nicht nur das tödlichste antisemitische Attentat in der deutschen Nachkriegsgeschichte, er hat auch einen Ort des jüdischen Lebens in München zerstört“, stellt Dr. Knobloch im Interview klar. Bis heute ist der Brandanschlag von 1970 nicht aufgeklärt. In der Öffentlichkeit findet die abscheuliche Tat kaum Beachtung. Für unsere Rubrik „Kein Platz für Hass“ spricht Dr. Knobloch über die Zeit danach und erklärt, wie die Zivilgesellschaft Jüdinnen:Juden und ihre Gemeinden vor Ort unterstützen kann.

Dr. Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern

Guten Tag Frau Dr. Knobloch, welche Bedeutung hatte das Gebäude in der Reichenbachstraße für die Mitglieder der jüdischen Gemeinde, was war das für ein Ort? 

Die Reichenbachstraße 27 war nach 1945 für fast sechs Jahrzehnte das Herzstück der jüdischen Gemeinschaft. Hier befand sich die einzige erhaltene Synagoge, hier hatte auch die Verwaltung der Israelitischen Kultusgemeinde ihren Sitz. Zwischenzeitlich waren im Gebäude außerdem Bewohner des Seniorenheims und externe Gäste untergebracht, darunter leider auch in der Nacht des Anschlags. Jeder jüdische Mensch, der in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit unserer Gemeinde zu tun hatte, kennt diesen Ort. Ich selbst habe in der Synagoge 1951 geheiratet, das Festessen fand im Vordergebäude statt, das 1970 ausbrannte. Dieser Anschlag war nicht nur das tödlichste antisemitische Attentat in der deutschen Nachkriegsgeschichte, er hat auch einen Ort des jüdischen Lebens in Münchens zerstört.

 

Der Brandanschlag war, wie Sie sagen, einer der schwersten antisemitischen Angriffe in der Bundesrepublik nach 1945. Trotzdem findet die Tat in der deutschen Öffentlichkeit kaum Beachtung und wurde lange verdrängt. Was bedeutet dieser Umstand für die Betroffenen und die Gemeinde heute?

In der jüdischen Gemeinde herrschten nach dem Anschlag vor allem Angst und Unsicherheit. Danach wurde es nicht besser, das Olympia-Attentat erschütterte die Menschen zwei Jahre später erneut, und die zahlreichen Flugzeugentführungen und weiteren Anschläge gegen jüdisches Leben taten ein Übriges. Die Gemeinde verlor in diesen Jahren einiges an Mitgliedern, die lieber nach Israel oder ins englischsprachige Ausland gingen, weil sie in München für ihre Kinder keine Zukunft mehr gesehen haben. Diese Familien fehlen uns bis heute. Von den aktuellen Gemeindemitgliedern hat fast niemand eigene Erinnerungen an den Anschlag, auch die nahen Angehörigen der Opfer sind heute mindestens hochbetagt. Für die meisten, die danach in München blieben oder seitdem hier her kamen, ging der Blick eher nach vorn. Insofern war es ein gutes Signal, dass die Landeshauptstadt München 2020 mit einem eigenen Gedenkakt den Anschlag wieder ins öffentliche Gedächtnis holte. Diese Veranstaltung war eine der letzten vor Beginn der Pandemie, und ich bin bis heute froh, dass sie noch stattgefunden hat.

 

Antisemitische Gewalt ist in Deutschland eine alltägliche Bedrohung, die aktuell weiter wächst. Sie warnten kürzlich: „Die Gefahr kommt von allen Seiten.“ Wie kann die Zivilgesellschaft Jüdinnen:Juden und ihre Gemeinden vor Ort unterstützen?

Am liebsten wäre es mir und vielen anderen Gemeindemitgliedern, wenn wir gar keine Unterstützung benötigen, wenn jüdisches Leben nicht als permanent hilfsbedürftig wahrgenommen werden müsste. Da die Lage aber ist, wie sie ist, wünschen wir uns drei Dinge: Sicherheit, Neugier und Empathie. Sicherheit gewährleisten wir selbst mit tätiger und finanzieller Hilfe des Freistaates, aber Neugier und Empathie gehen alle an. Wir freuen uns über jeden, der eine Synagogenführung mitmacht, der uns seine Fragen stellt, der sich offen gegenüber dem Judentum und jüdischen Menschen zeigt. Viel zu oft gelten jüdische Themen noch als „exotisch“ oder gar gefährlich, niemand will etwas Falsches sagen. Diese Zurückhaltung ist zwar gut gemeint, räumt aber nichts von dem Ballast aus, den wir nun einmal alle tragen. Ehrlich provokante Fragen sind mir deshalb viel lieber als das höflichste Schweigen. 

Was die Empathie angeht, so ist die nicht so leicht zu fassen. Jüdische Menschen brauchen das Gefühl, in Krisenzeiten nicht allein zu stehen, sondern Rückhalt zu haben – aus der Politik, wo er glücklicherweise vorhanden ist, und auch aus der Zivilgesellschaft. Da sind wir noch nicht so weit, wie ich mir das wünschen würde. Dabei muss man auch zur Kenntnis nehmen, dass die überwältigende Mehrheit der jüdischen Gemeinschaft sich etwa Israel als jüdischem Staat auf die eine oder andere Weise verbunden fühlt. Wenn wir dann Massaker wie am 7. Oktober erleben und bei den folgenden Solidaritätskundgebungen mit Müh und Not 2000 Teilnehmer zusammenkommen, dann verstehen viele jüdische Menschen das als klares Signal: Wirklich wichtig sind unser Schmerz und unsere Angst also nicht. Das betrifft natürlich nicht nur Israel, das Beispiel drängt sich wegen der Aktualität auf. Anteilnahme kann man sicherlich nicht erzwingen, aber ich würde mir wünschen, dass jüdische Menschen viel mehr Empathie spüren. 

 

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