Annette Schavan, Vorsitzende des Kuratoriums der Stiftung EVZ, spricht im Interview über den Hass gegen Juden:Jüdinnen und wie die Stiftung EVZ jetzt mit konkreten Förderungen und Aktivitäten helfen kann.

Frau Schavan, als Kuratoriumsvorsitzende der Stiftung EVZ – wie blicken Sie auf die Weltlage seit den Terroranschlägen der Hamas gegen Israel am 7. Oktober?

Der 7. Oktober ist eine Zäsur mit weitreichenden Folgen. Die Hamas hat ein Pogrom angerichtet und will das Judentum ausrotten. Die Brutalität, mit der Menschen ermordet wurden, übersteigt unsere Vorstellungen. Mich erschreckt zutiefst der Judenhass, der nun weltweit deutlich wird. Er macht auf furchtbare Weise deutlich, dass die Lehren der Shoa abgelehnt werden. Die Berichte über den Judenhass an Eliteuniversitäten in den USA, Demonstrationen in Deutschland, die mit klaren antisemitischen Botschaften verbunden sind, Jüdinnen und Juden, die sich auf den Straßen europäischer Städte nicht mehr sicher fühlen, Reisewarnungen für Jüdinnen und Juden – das alles sind verheerende Entwicklungen. Sie werden uns lange beschäftigen und verlangen jetzt eine klare Sprache, Zivilcourage und Solidarität mit Jüdinnen und Juden. Letztlich ist eine internationale intellektuelle Debatte über die Zukunft von Zivilisationen und die ethische Verfassung von religiös und kulturell diversen modernen Gesellschaften notwendig. Es darf keine Schweigespirale entstehen!

 

Die Zahl antisemitischer Übergriffe steigt. Jüdische Menschen fühlen sich zunehmend bedroht – auch in Deutschland. Wie kann die Stiftung EVZ jetzt mit konkreten Förderungen und Aktivitäten helfen?

Die EVZ wird ihre Aktivitäten in Deutschland verstärken. Sie kann - gemeinsam mit anderen Stiftungen – ganz gezielt die junge, kulturell diverse Generation ansprechen und ihr helfen, einen Kompass zu entwickeln. „Jugend erinnert" ist in diesem Kontext ein guter Impuls. Mich beschäftigt seit geraumer Zeit, wie in unseren Schulen historische und politische Bildung in Zukunft ermöglicht wird. Unsere Schulen sind, von der Zusammensetzung der Schülerschaft her, internationale Schulen. Das hat Konsequenzen für die Lernkulturen, für die zu vereinbarenden Regeln des Umgangs miteinander und auch für Bildungsinhalte in den Schulfächern, die mit Geschichte, Politik, Kultur und Religion zu tun haben. Die Schulen werden zivilgesellschaftliche Partner brauchen und mehr Solidarität für eine Lernatmosphäre der Konsequenz und Verbindlichkeit. Die EVZ hat 2021 mit der Bildungsagenda eine erfolgversprechende Kooperation mit Unternehmen, Behörden und Kultureinrichtungen begonnen. Auch dieser Impuls kann helfen, Erinnerungskultur aus speziellen Milieus in den Alltag zu holen. Wir müssen sensibilisieren für all das Verhalten, das auch heute zu Hass und Ausgrenzung, zu Gewalt und Terror führt.

Wir leben in einer Zeit multipler Krisen und Konflikte, auch die ukrainische Bevölkerung ist weiterhin dem Krieg Russlands ausgesetzt. Unsere Partnerorganisationen vor Ort berichten, dass es für viele Überlebende der NS-Verfolgung darum gehe, den Winter zu überstehen. Wie kann in dieser Situation die Zivilgesellschaft in der Ukraine weiter gestärkt werden?

In der Ukraine geht es in diesem Winter und wahrscheinlich noch eine ganze Weile vor allem um humanitäre Hilfe. Besonders gefährdete Gruppen, wie die zum Teil hochbetagten NS-Überlebenden, sind dringend auf Unterstützung jeglicher Art angewiesen. Die Arbeit des Hilfsnetzwerks für Überlebende der NS-Verfolgung und vieler anderer Partner:innen vor Ort rettet Leben und gibt Hoffnung. Neben der humanitären Hilfe haben wir angesichts der schwierigen Situation in diesem Jahr die finanziellen Mittel im Rahmen des Solidaritätsbudgets deutlich erhöht - und stärken damit nachhaltig die ukrainische Zivilgesellschaft, auch im europäischen Exil. Wichtig ist mir dabei, dass wir den Blick weiten und auch zukünftig die Akteure aus Belarus und Russland stärken, die ein klares Zeichen gegen den völkerrechtswidrigen Krieg Russlands setzen. Knapp zwei Jahre nach der Ausweitung des russischen Terrors gegen die Ukraine kommt es jetzt aber vor allem auf eines an: Wir alle müssen unermüdlich deutlich machen, wie sehr die ukrainischen Zivilist:innen unter diesem Krieg leiden. Wir dürfen nicht müde werden und die Augen vor dem Unrecht schließen, sondern müssen die so wichtige Hilfe für die Menschen in der Ukraine auf allen Ebenen aufrechterhalten. Hier können wir alle aktiv werden!

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