30. Januar 1933
MdB Renata Alt zum Tag der Machtübernahme
Die Parlamentarierin Renata Alt aus dem Kuratorium der Stiftung EVZ beleuchtet den Tag der Machtübernahme vor 90 Jahren hinsichtlich seiner Bedeutung für die Erinnerungskultur heute.
Die Erinnerung an die sogenannte „Machtergreifung“ Adolf Hitlers vor 90 Jahren ist eine Herausforderung für die historisch-politische Bildung: Der weitverbreitete Begriff sorgt bis heute dafür, dass Hitlers Ernennung zum Reichskanzler durch Reichspräsident Paul von Hindenburg am 30. Januar 1933 allzu oft als ein unabwendbares, gewaltvolles Ereignis gedacht wird.
Vielmehr müssen wir die Machtübernahme der Nationalsozialisten als die Zuspitzung einer Jahrzehnte währenden gesellschaftlichen Entwicklung verstehen – Geschichte ist nicht vorbestimmt und Menschen können ihren Lauf verändern: das NS-Regime hätte noch im Januar 1933 abgewendet werden können. Wir haben also immer die Chance, gesellschaftlichen Entwicklungen, die unsere Demokratie gefährden, aktiv entgegenzuwirken: 90 Jahre nach dem Tag der Machtübernahme beleuchten Parlamentarier:innen aus dem Kuratorium der Stiftung EVZ verschiedene Aspekte seiner Bedeutung für die Erinnerungskultur heute.
"Die Erinnerung an den 30.01.1933 begleitet meine Arbeit als Parlamentarierin stets mahnend. Als Bundestagsabgeordnete tragen wir ganz besonders die Verantwortung dafür, dass eine derartige Machtübertragung an rechtsextreme Parteien nie wieder geschieht. Denn die NSDAP hat die Macht eben nicht in einer Art Staatsstreich ergriffen, sondern nach Recht der Weimarer Republik legal und mit Unterstützung konservativer Politiker und Parteien erhalten. Die Erfahrung, wie aus der ersten parlamentarischen Demokratie in Deutschland, das Schreckensregime des Nationalsozialismus erwachsen konnte, muss daher unser Handeln als Parlamentarier*innen leiten. Ganz konkret bedeutet das: Keinerlei Zusammenarbeit mit Parteien außerhalb des demokratischen Spektrums.
Der Tag der Machtübernahme ist auch für uns als ganze Gesellschaft eine Mahnung, dass die Demokratie wehrhaft sein muss und unser aller Engagement braucht. Mit dem Demokratiefördergesetz stärken wir nun Projekte, die demokratisches Denken, gesellschaftliche Vielfalt und Extremismusprävention in der Zivilgesellschaft fördern. Denn die demokratische Zivilgesellschaft ist der Boden, auf dem unsere Demokratie steht!"
"Der Gedenktag am 30. Januar ist für mich ein Tag des Innehaltens. Der Terror, der sich unter der NS-Herrschaft von Deutschland aus über Europa und weitere Teile der Welt ausbreitete, hat Millionen von Menschen das Leben gekostet und das Leben weiterer Millionen teils über Generationen traumatisch belastet.
Die Lektionen aus der Geschichte bleiben brandaktuell: Wir halten Stabilität und Freiheit in unserer Demokratie für selbstverständlich, obwohl sie verletzlich ist. Demokratieverachtung und Radikalisierung breiten sich aus. Unsere Überzeugung, dass es auf dem europäischen Kontinent niemals wieder einen Angriffskrieg geben würde, hat sich als Irrtum erwiesen. Stehen wir also heute, in unserer eigenen Zeit, für Frieden, Freiheit und Verständigung ein, seien wir anständig und machen wir den Mund auf, wenn Ausgrenzung, Unrecht und Gewalt Menschen gefährden und an den Rand drängen. Stemmen wir uns gegen diejenigen Kräfte, die uns weismachen wollen, dass es einfache Lösungen gibt; die den Nationalismus wieder salonfähig machen wollen; die Verbrechen der Vergangenheit verharmlosen oder glorifizieren."
"Der heutige 90. Jahrestag der Machtübernahme der Nationalsozialisten ist uns Mahnmal und Erinnerung zugleich. Durch das Erinnern an die schrecklichen Verbrechen schaffen wir ein größeres Bewusstsein und tragen das Gedächtnis an die Opfer des Nationalsozialismus proaktiv weiter. Erinnerungskultur muss lebendig und zukunftsgerichtet sein, um besonders die junge Generation unserer Gesellschaft aufzuklären.
Auch für die Wehrhaftigkeit unserer Demokratie ist die Förderung der Erinnerungskultur essenziell. Menschenrechte, Toleranz und interkulturelle Begegnung als zentrale Elemente unserer Gesellschaftsordnung werden immer häufiger infrage gestellt. Für eine wehrhafte Demokratie müssen wir uns diesen Herausforderungen jeden Tag aufs Neue stellen.
Versuche, diese Gesellschaftsordnung zu torpedieren und die furchtbaren Verbrechen der Nationalsozialisten zu relativieren oder gar zu leugnen, dürfen wir nicht tolerieren. Wir müssen dem mit voller Kraft und energisch entgegenwirken. Wir tragen eine besondere Verantwortung, die Erinnerungskultur weiterhin zu stärken und das Geschehene aufzuarbeiten. Dazu gehört auch, dass wir die Perspektive von Jüdinnen und Juden stärker berücksichtigen, dass wir jüdisches Leben in Deutschland sichtbarer machen. Vor allem gehört dazu, dass wir alles in unserer Macht stehende tun, damit sich die Geschichte niemals wiederholt."