Annette Schavan, Vorsitzende des Kuratoriums der Stiftung EVZ

Wie haben Sie das Jahr 2021 wahrgenommen – aus der Perspektive der Kuratoriumsvorsitzenden der Stiftung EVZ?

2021 war ein Zwischenjahr. Die Covid-19-Pandemie hatte zwar noch nicht gänzlich ihren Schrecken verloren, doch hatten sich die Gesellschaften in der „neuen Normalität“ arrangiert: Die digitale Lernkurve war steil, das Arbeiten unter Bedingungen des „social distancing“ wurde alltäglich. Unsere Projektträger:innen haben ihr Tun diesen Bedingungen auf beeindruckende Weise angepasst. Besuche am Fenster oder Zoom-Anrufe bei Überlebenden der NS-Verfolgung waren an der Tagesordnung. Wir müssen weiter gemeinsam alles dafür tun, die hochbetagten Menschen in unsere gesellschaftliche Mitte und Wahrnehmung zu holen. Gleichzeitig war der historische Umbruch, den wir erleben, während wir diese Zeilen verfassen, noch nicht vollzogen. In unseren Jugendprojekten trafen sich noch ukrainische, russische und belarussische Teilnehmende. Das erste Verbot von Memorial Ende 2021 war ein alarmierendes Zeichen für die brutale Repression zivilgesellschaftlicher Organisationen, die Meinungsunfreiheit und den Geschichtsrevisionismus, welche nun in noch gesteigerter Form mit dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine einhergehen.

In der 2021 vorgelegten Zukunftsagenda der Stiftung EVZ heißt es, die Stiftung „positioniert sich handlungsfähiger und wirkungsmächtiger“. Was bedeutet das?

Dies reflektiert den Aufbruch der Stiftung und den Anspruch an ihr Engagement. Die Stiftung hat sich strategisch neu aufgestellt, Stakeholder:innen befragt, Bedarfe durch partizipative Formate ermittelt und formuliert und neue Förderansätze angewendet. Um das zu illustrieren: Im Handlungsfeld Handeln stärken wir künftig noch engagierter Selbstorganisationen. Im Handlungsfeld Bilden gehen wir mit innovativen Erzählformen Wissenslücken in unserer Gesellschaft an – z. B. zu marginalisierten Opfergruppen.

2021 jährte sich der Beginn der Auszahlungen an ehemalige Zwangsarbeiter:innen zum 20. Mal. Was nehmen Sie aus dem Gründungsauftrag in die Zukunft mit?

Wie wir auf der Jubiläumswebseite der Stiftung deutlich machen: Die Frage, wie wir die Zukunft gestalten, hängt auch von unserem Verständnis der Vergangenheit ab. Das gilt für unsere Gesellschaft, ihr Wissen um das nationalsozialistische Unrecht und die Kontinuitäten von Ausgrenzung und Diskriminierung in die Gegenwart. Das gilt aber auch für die Stiftung EVZ selbst. Die Stiftung wurde in einem kooperativen Geist gegründet, eine einmalige Private-public-Partnership über Organisationsund Ländergrenzen hinweg. Diesen Auftrag zu Dialog, Perspektivwechsel und Vermittlung setzen wir weiter um – er ist wichtiger denn je.

Annette Schavan, Vorsitzende des Kuratoriums, Bundesministerin a. D.