YeMistechko - ein Ort für alle

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat enorme Auswirkungen auf die ukrainische Gesellschaft. Die Zerstörung von Archiven, Bibliotheken und Museen zielt darauf ab, die ukrainische Kultur und ihre identitätsstiftende Kraft zu schwächen und das historische Gedächtnis der ukrainischen Nation auszulöschen. In unserem Förderprogramm unterstützen wir Kultureinrichtungen, die sich als identitätsstiftende Orte verstehen, das Leben in ihren Gemeinden gestalten und Menschen mobilisieren wollen.

In der Ukraine, wo wegen der Kriegszerstörungen und -handlungen der erste und zweite Ort (Zuhause und Arbeit) oft nicht zugänglich sind, müssen die gesellschaftlichen Räume zu einer gemeinsamen Gestaltung des Zusammenlebens beitragen und auf die aktuellen Bedarfe reagieren. Mit dem neuen Förderprogramm YeMistechko – ein Ort für alle! unterstützt die Stiftung EVZ identitätsstiftende und gesellschaftlich relevante Einrichtungen wie Museen, Bibliotheken, Theater, Archive und Kulturhäuser dabei, sich zu Dritten Orten weiterzuentwickeln und sich aktiver für ihre Gemeinschaft vor Ort zu engagieren. Die Zielgruppe des Programms umfasst alle Anwohner:innen, auch diejenigen, die Ausgrenzung erfahren bzw. durch den Ausschluss aus dem Gemeinschaftsleben bedroht sind. Dazu zählen z.B. Menschen im hohen Alter, insbesondere Überlebende der NS-Verfolgungen, Angehörige der Minderheiten (Rom:nja, Krimtataren, LGBTIQ-Personen), Binnenvertriebene, Rückkehrer:innen aus dem Ausland und Kriegsveteran:innen. 

#EVZgefördert - unsere Projekte (Auswahl)

MuMeet - Begegnungsraum im Stadtmuseum Lviv

Was bewirkt das Projekt?

In den letzten zwei Jahren haben Tausende von Ukrainer:innen ihr Zuhause aufgegeben und ihre sozialen Bindungen verloren. Lviv - eine Stadt mit einer langen und bewegten Geschichte - hat die meisten Binnenvertriebenen aufgenommen. Aufgrund der unterschiedlichen soziokulturellen Hintergründe steht die Stadtgesellschaft vor komplexen Herausforderungen. Ohne Dialogräume bleiben Einheimische und Zugezogene oft unter sich, was die Integration erschwert und das Gefühl der Fremdheit verstärkt. Als „Dritter Ort begegnet MuMeet diesen Herausforderungen mit gezielten Dialoginitiativen, die helfen, Brücken zwischen den Menschen zu bauen und den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken. Anhand von vier Themenfeldern - Kultur, Stadtplanung, Erbe und Ökologie - bezieht MuMeet Einheimische und Binnengeflüchtete durch Workshops, Co-Design-Prozesse, Dialogforen, Kultur- und Gemeinwesenprojekte diskursiv und aktiv ein. Das Projekt baut Vorurteile ab und macht Stadt- und Gesellschaftsentwicklung zu einem gemeinsamen Projekt - getragen von der Vielfalt und den Ressourcen aller Bewohner:innen. 

Wer macht mit und wen erreicht das Projekt?

Das Projekt wird in Kooperation mit der Organisation „Fond rozvytku Muzeia Mista u Lvovi" durchgeführt und richtet sich an zugezogene und lokale Aktivist:innen und an die einheimische Bevölkerung und Jugendliche sowie auch an kommunale, politische und zivilgesellschaftliche Einrichtungen.

Die Stiftung EVZ fördert das Projekt weil…

… es partizipativ geplant wurde und die aktive Mitwirkung der Bevölkerung an der Stadtentwicklung fördert. Durch die Stärkung der Rechte der Bürger:innen und ihre Beteiligung an Entscheidungsprozessen wird eine demokratische und inklusive Stadtentwicklung ermöglicht. Dies ist besonders relevant im Kontext der Veränderungen der städtischen Gesellschaft aufgrund des brutalen Krieges Russlands gegen die Ukraine. Den spezifischen Herausforderungen, die damit einhergehen, begegnen die lokalen kommunalen und zivilgesellschaftlichen Strukturen mit partizipativen Methoden. Das Projekt bietet somit einen wertvollen Beitrag zur nachhaltigen und gerechten Entwicklung urbaner Räume und städtischer Gesellschaft. 

Projektträger: Stadtmuseum Lviv
Kooperationspartner: Entwicklungsfond des Stadtmuseums Lviv
Förderzeitraum: September 2024 - August 2026 
Fördersumme: 67.997 Euro
Ort: Lviv, Westukraine
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Danylo Sudyn

Die Fähigkeit, kollektiv zu handeln, ist ein Zeichen für eine starke Identität.
Danylo Sudyn
Dozent an der UKU Lviv

Kraftort der drei Generationen - Mehrgenerationenhaus in der Stadtbibliothek Zhytomyr

Was bewirkt das Projekt?

Mit dem Projekt „Kraftort der drei Generationen“ fördert die Bibliothek in Zhytomyr den generationsübergreifenden Dialog und bringt Initiativen von Anwohner:innen und Binnengeflüchtete zusammen.  Vier Aktivitätsräume und niedrigschwellige Angebote bringen Menschen jeden Alters zusammen und begünstigen ein resilientes und integratives Gemeinschaftsleben.  Dabei stehen sowohl der kollektive Zusammenhalt als auch die Förderung des Individuums im Mittelpunkt. Das Projekt reagiert auf aktuelle gesellschaftliche Herausforderungen, insbesondere die Integration von Binnenvertriebenen unterschiedlichen Alters, die durch Fluchterfahrungen ihre sozialen und kulturellen Bezüge verloren haben. 

Wer macht mit und wen erreicht das Projekt?

Das Projekt wird in Kooperation mit der NGO "Dyvosvit" durchgeführt und richtet sich an Binnenvertriebene, Familien von Veteran:innen  und gefallenen Soldat:innen, an die lokale Bevölkerung, an Behörden und Wirtschaftsvertretungen sowie Freiwillige.

Die Stiftung EVZ fördert das Projekt weil…

… wir von der Nachhaltigkeit des Vorhabens überzeugt sind. Menschen verschiedener Generationen und mit unterschiedlichen Biographien kommen zusammen und gestalten gemeinsam ihre Zukunft in der alten oder auch neuen Heimat. Darüber hinaus trägt das Projekt dazu bei, die Rolle der Bibliotheken in der heutigen ukrainischen Gesellschaft neu zu positionieren. Der Projektträger hat sich zum Ziel gesetzt, durch eigene Transformationsprozesse anderen ukrainischen und internationalen Bibliothekar:innen zu zeigen, dass „eine Bibliothek eine Atmosphäre der Interaktion und Entwicklung zwischen allen Beteiligten ist - dem Team professioneller, moderner Bibliothekar:innen, den Leser:innen, die kommen, um Bücher auszuleihen, und die spüren, dass dies nicht nur eine Bibliothek oder eine Ausleihstelle ist, sondern ein Ort der Kommunikation, der Ideen und des Engagements“. (Zitat aus dem Antrag)

Projektträger: Stadtbibliothek Zhytomyr
Kooperationspartner: NGO "Dyvosvit"
Förderzeitraum: September 2024 - August 2026
Fördersumme: 30.000 Euro
Ort: Zhytomyr, Zentralukraine
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Natalia Khomchuk

Das Beste an diesem Ort ist, dass die Menschen nicht allein sind und mit ihren Problemen nicht allein gelassen werden, dass sie einbezogen werden und die Möglichkeit bekommen, sich zu verbessern, sich nicht zu verschließen und weiter zu sozialisieren.
Natalia Khomchuk
Choreografin des Dritten Ortes

Ein Ort der Kraft - Dritter Ort im Kulturzentrum Okhtyrka

Was bewirkt das Projekt?

Der „Dritte Orte“ im Kulturzentrum der Stadt Okhtyrka setzt sich zum Ziel, den sozialen Zusammenhalt in einer sich wandelnden Stadtgesellschaft zu stärken. Die demografischen Veränderungen durch Zuzug und Flucht haben zu Vereinsamung und Desintegration geführt, während viele soziale Angebote nicht mehr verfügbar sind. Der „Dritte Ort“ begegnet diesem Problem. Er schafft einen niedrigschwelligen, barrierearmen Treffpunkt mit täglichen Öffnungszeiten, der allen Interessierten kostenfrei offensteht. Regelmäßige Aktivitäten und Veranstaltungen in den Bereichen Kultur, Bildung, Kreativität, Freizeit und Sport bieten vielfältige Möglichkeiten zur Begegnung und Teilhabe. Menschen können hier ihre Kreativität ausleben, Selbstwirksamkeit erfahren und aktiv Einfluss auf die Gestaltung der Angebote nehmen. Die Kultureinrichtung leistet darüber hinaus einen besonders wichtigen Beitrag für die oftmals hochbetagten und durch den Krieg erneut traumatisierten NS-Überlebenden. Sie bietet ihnen dringend benötigte humanitäre Hilfe und integriert sie aktiv in die Angebote des Zentrums. Durch die Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Organisationen und Ehrenamtlichen wird das Projekt zu einem zentralen Akteur für die gemeinsame Gestaltung des städtischen Zusammenlebens.

Wer macht mit und wen erreicht das Projekt?

Das Projekt wird in Kooperation mit der Organisation "Initsiatyvy rozvytku" realisiert und richtet sich neben allen Interessent:innen insbesondere an die Minderheit der Rom:nja, an Binnenvertriebene und Veteran:innen. Besonderer Fokus liegt auf der Unterstützung der Überlebenden des nationalsozialistischen Regimes. Durch Begegnungen mit dem Bürgermeister und der lokalen Selbstverwaltung werden die Entscheidungsträger in die Arbeit eingebunden.

Die Stiftung EVZ fördert das Projekt weil…

… es in Okhtyrka aufgrund des Krieges kaum noch Begegnungsstätten gibt und das Projekt genau darauf reagiert. Es wird ein Treffpunkt geschaffen, an dem die Menschen vielfältige Angebote des Miteinanders nutzen können. Der „Dritte Ort“ stärkt die Resilienz der Gesellschaft und fördert die Solidarität in schwierigen Zeiten.  Die aktive Beteiligung der Bevölkerung an der Entwicklung des Ortes stellt sicher, dass die Angebote bedarfsgerecht konzipiert werden, was dem Projekt Nachhaltigkeit und Rückenwind verleiht. Durch die Einbindung der Roma-Minderheit trägt das Projekt zum Abbau von Stereotypen bei und bietet gleichzeitig Empowerment durch aktive Mitgestaltungsmöglichkeiten. Besonders hervorzuheben ist die Unterstützung von NS-Überlebenden, die nicht nur humanitäre Hilfe erfahren. Ihre Einbindung in das Projekt fördert den Austausch mit der jüngeren Generation und leistet einen wertvollen Wissenstransfer. So wird eine lebendige Bürger:innenbeteiligung gestärkt und ein inklusiver Raum für alle geschaffen.

Projektträger: Städtisches Zentrum für Kultur und Freizeit „Kniezha“
Kooperationspartner: NGO “Initsiatyvy rozvytku”
Förderzeitraum: September 2024 - August 2026
Fördersumme: 49.000,00 Euro für den Dritten Ort sowie 50.000,00 für die Unterstützung der Überlebenden des Nationalsozialismus 
Ort: Okhtyrka, Nordosten der Ukraine
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Olga Andolenko

Die Einrichtung muss hundertprozentig ausgelastet sein, so dass sie nie leer steht, so dass jeder Quadratmeter für die Gemeinschaft arbeitet, so dass jede Person in der Gemeinschaft eine Beziehung zu diesem Ort hat, weil es ihr Ort ist.
Olga Andolenko
Projektleiterin

Was sind "Dritte Orte"?

Das Konzept der "Dritten Orte" hat seine Wurzeln in den Ideen des Soziologen Ray Oldenburg, der es erstmals in den 1980er Jahren in seinem Buch "The Great Good Place" präsentierte. Oldenburg definierte die "Dritten Orte" als Orte, die nach dem häuslichen Umfeld (erster Ort) und dem Arbeitsplatz (zweiter Ort) für Menschen am wichtigsten sind. Mit anderen Worten sind "Dritte Orte" soziale Treffpunkte, an denen Menschen zusammenkommen, um sich auszutauschen, zu arbeiten, zu lernen, neue Ideen oder niedrigschwellige Angebote gemeinsam zu entwickeln und umzusetzen oder einfach nur Zeit miteinander zu verbringen. 

Warum sind sie wichtig? 

Diese Orte fördern soziale Interaktion, Kreativität und Gemeinschaftsgefühl. Sie bieten einen Raum, in dem Menschen unterschiedlicher Hintergründe und Interessen zusammenkommen können und tragen dazu bei, die soziale Bindung zu stärken. Sie unterstützen das Gefühl der Zugehörigkeit sowie (Re-)Integration der Menschen in die Gesellschaft. Dritte Orte können sich positiv auf die Demokratie und die Entwicklung der Partizipation auswirken, d.h. auf die aktive Beteiligung der Bürger:innen am öffentlichen Leben. 

Es gibt eine Vielzahl von Aktivitäten und Möglichkeiten, die in Dritten Orten angeboten werden können, abhängig von den Interessen der Gemeinschaft und den verfügbaren Ressourcen: 

•    Gemeinsame Diskussionsrunden und Debatten

•    Kulturelle und historische Veranstaltungen (Ausstellungen, Filmabende usw.)

•    Handwerks- und Kunstworkshops oder Spieletreffs

•    Sprachtandem und Fremdsprachenkurse

•    Gemeinschaftsgärten und Umweltprojekte

•    Gesundheits- und Fitnesstrainings

•    Gemeinsames Kochen und Kochshows

•    Nutzung von digitalen Geräten und Ressourcen

Aber wichtig ist letztendlich was die Community braucht.

 

Gibt es bereits gut funktionierende Dritte Orte?

Die Deichman-Bibliothek in Oslo, Norwegen, ist die bekannteste Kultureinrichtung, die das Konzept des Dritten Orts adaptiert hat. Einige Institutionen spezialisieren sich auf ein bestimmtes Themenfeld und entwickeln sich dadurch zu Dritten Orten. Wie beispielsweise ARTandTECH.space in Rhein, Deutschland. Aber auch in der Ukraine gibt es solche Einrichtungen, zum Beispiel das PinchukArtCentre (ukr. ПінчукАртЦентр) oder das America House Kyiv
Wie ein „Dritter Ort“ am Ende aussieht, bestimmen immer die konkreten Bedarfe vor Ort. Daher sollten unbedingt Meinungen aus der lokalen Gemeinschaft eingeholt werden, um gemeinsam einen besseren Ort für Zusammenleben und Aufenthalt gestalten zu können.

Ansprechpersonen

Anna Gleser

Projektkoordination

Tel.: +49 (0)30 25 92 97-32
E-Mail: gleser@stiftung-evz.de

Evelyn Scheer

Leitung Team Handeln

Tel.: +49 (0)30 25 92 97-65
E-Mail: scheer@stiftung-evz.de

Daria Yemtsova

Projektkoordination

Tel.: +49 (0)30 25 92 97-83
E-Mail: yemtsova@stiftung-evz.de