YeMistechko - Dritte Orte in der Ukraine

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat enorme Auswirkungen auf die ukrainische Gesellschaft. Die Zerstörung von Bibliotheken und Museen zielt darauf ab, die ukrainische Kultur und ihre identitätsstiftende Kraft zu schwächen und das historische Gedächtnis der ukrainischen Nation auszulöschen. In unserem Förderprogramm unterstützen wir Kultureinrichtungen, die sich als identitätsstiftende Orte verstehen, das Leben in ihren Gemeinden gestalten und Gemeinschaft stärken wollen.

Hinweise zu gendergerechte Sprache

In der Ukraine, wo wegen der Kriegszerstörungen der erste und zweite Ort (Zuhause und Arbeit) oft nicht zugänglich sind, müssen die gesellschaftlichen Räume zu einer gemeinsamen Gestaltung des Zusammenlebens beitragen und auf die aktuellen Bedarfe reagieren. Mit dem neuen Förderprogramm “YeMistechko — “Dritte Orte” in der Ukraine” unterstützt die Stiftung EVZ identitätsstiftende und gesellschaftlich relevante Einrichtungen wie Museen, Bibliotheken und Kulturhäuser dabei, sich zu Dritten Orten weiterzuentwickeln und sich aktiver für ihre Gemeinschaft vor Ort zu engagieren. Die Zielgruppe des Programms umfasst alle Anwohner:innen, auch diejenigen, die Ausgrenzung erfahren bzw. durch den Ausschluss aus dem Gemeinschaftsleben bedroht sind. Dazu zählen z.B. Menschen im hohen Alter, insbesondere Überlebende der NS-Verfolgungen, Angehörige der Minderheiten (Rom:nja, Krimtataren, LGBTIQ-Personen), Binnenvertriebene, Rückkehrer:innen aus dem Ausland und Kriegsveteran:innen.

 

Danylo Sudyn

Die Fähigkeit, kollektiv zu handeln, ist ein Zeichen für eine starke Identität.
Danylo Sudyn
Dozent an der Ukrainischen Katholischen Universität, Lviv

#EVZgefördert - unsere Projekte (Auswahl)

  • Begegnungsraum im Stadtmuseum Lviv

    MuMeet

    Seit Beginn des russischen Krieges gegen die Ukraine in 2014 ist Lviv für viele Binnenvertriebene zu einem neuen Zuhause geworden. Doch unterschiedliche Hintergründe, Erfahrungen und Erwartungen machen Begegnungen nicht immer einfach. Als „Dritter Ort "im Stadtmuseum schafft MuMeet einen offenen Raum, in dem Einheimische und Zugezogene einander kennenlernen, Ideen teilen und gemeinsam gestalten können. MuMeet zeigt, wie Kulturinstitutionen zu Motoren einer demokratischen und inklusiven Stadtentwicklung werden können. Das Projekt beweist, dass eine Stadt und ihre Bewohner:innen ihre Zukunft selbst gestalten können, wenn sie aktiv beteiligt werden und ihre Vielfalt als Stärke begreifen.

  • Mehrgenerationenhaus in der Stadtbibliothek Zhytomyr

    Kraftort der drei Generationen

    Das Projekt im nördlichen Teil der Ukraine bringt durch niedrigschwellige Formate Menschen verschiedener Generationen zusammen und fördert ein resilientes, integratives Gemeinschaftsleben. Im Mittelpunkt stehen sowohl der kollektive Zusammenhalt als auch die Stärkung des Einzelnen. Ein besonderes Highlight ist der Küchen-Hub: Hier können Binnenvertriebene die Spezialitäten ihrer Heimatregionen kochen, ihre Geschichten teilen und eigenen Erfahrungen und Expertisen teilen.

  • Dritter Ort im Kulturzentrum Okhtyrka

    Ein Ort der Kraft

    In Okhtyrka, einer Stadt in nord-östlichem Teil der Ukraine, in der der russische Krieg viele Treffpunkte zerstört hat, entsteht ein neuer Raum für Gemeinschaft und Hoffnung im Kulturzentrum. Besonders einzigartig ist die enge Einbindung von Gruppen, die oft am Rand der Gesellschaft stehen – sie werden nicht nur unterstützt, sondern aktiv miteinbezogen. Die Einbindung der Roma-Minderheit trägt dazu bei, Vorurteile abzubauen und Empowerment zu schaffen. Die hochbetagten NS-Überlebenden werden in ihrem Alltag auch mit humanitärer Hilfe unterstützt und geben zugleich ihre Erfahrungen an die jüngere Generation weiter.

Was sind "Dritte Orte"?

Der Begriff „Dritter Ort“ (engl. Third Place) geht auf den US-amerikanischen Soziologen Ray Oldenburg zurück, der das Konzept in den 1980er-Jahren in seinem Buch “The Great Good Place” prägte. Damit beschreibt er informelle, öffentlich zugängliche Begegnungsorte außerhalb von Zuhause (erster Ort) und Arbeitsplatz (zweiter Ort). Solche Orte – etwa Cafés, Bibliotheken, Kulturzentren oder andere öffentliche Plätze – bieten Menschen einen neutralen Raum, um sich zu treffen, auszutauschen, gemeinsam Aktivitäten zu gestalten oder einfach Zeit miteinander zu verbringen. 

Warum sind “Dritte Orte” wichtig?


“Dritte Orte” sind offen für alle. Sie fördern sozialen Zusammenhalt, Begegnung und aktive Teilhabe am öffentlichen Leben. Als inklusive Räume laden sie zu Austausch, Kreativität und gemeinschaftlichem Engagement ein, stärken Zugehörigkeitsgefühl, (Re-)Integration und bürgerschaftliche Mitgestaltung – unabhängig von Herkunft, Alter oder sozialem Status. 

Ihre besonderen Merkmale machen sie zu Orten gelebter Demokratie: 

  • Beziehungsfördernd – Begegnung, Austausch und Gemeinschaft stehen im Mittelpunkt.
  • Partizipativ – Besucher:innen gestalten Angebote aktiv mit.
  • Kreativ & kulturell – Raum für Kultur, Bildung und persönliche Entfaltung.
  • Lokal verankert – sie kennen und stärken ihre Gemeinschaft.
  • Flexibel nutzbar – vielfältige Formate und Zeiten für unterschiedliche Zielgruppen.
  • Gemeinwohlorientiert – nicht profitorientiert, sondern auf Teilhabe und Empowerment ausgerichtet. 

Die “Dritten Orte” tragen langfristig zur Stärkung von Gemeinschaft sowie zivilgesellschaftlichen und demokratischen Strukturen bei. Für ukrainische Gemeinden sind sie in Zeiten des russischen Krieges und damit verbundenen Herausforderungen zudem wichtige öffentliche Ankerpunkte – Orte der Stabilität, gegenseitiger Unterstützung und gelebter Resilienz.

Andrii Knyha über Cherson als „Dritten Ort“ in der Ukraine

Drei Fragen an... Andrii KnyhaDrei Fragen an... Andrii Knyha

Andrii Knyha belebt mit seinem Team das Stadttheater Cherson als „Dritten Ort“: ein offener Raum für Austausch, Lernen und Zusammenhalt. Mit Workshops, kulinarischen Erlebnissen und Angeboten zur mentalen Gesundheit wird es zu einem Ort der Stärke und Anker der Gemeinschaft – unterstützt durch das EVZ-Programm YeMistechko. Welche Rolle spielen Dritte Orte im russischen Krieg gegen die Ukraine? Und wie gelingt es dem Träger, trotz massiver Angriffe neue Zielgruppen anzusprechen und Menschen in einem der am stärksten betroffene Städte des Landes für den Dritten Ort zu gewinnen? Andrii berichtet in einem Kurzinterview über die Situation in Cherson.

Zur Illustration

“Auf Einladung der Stiftung EVZ habe ich mich entschlossen, die Illustration für das Programm ‘YeMistechko’ zu gestalten, weil ich davon überzeugt bin, dass Kultur sowohl unser Schutz als auch unser Fundament ist. In Zeiten des russischen Krieges, der Desinformation und der Propaganda ist es von entscheidender Bedeutung, die Erinnerung zu bewahren, Verbindungen zwischen Menschen zu stärken und Räume zu schaffen, in denen Begegnung möglich wird. ‘Dritte Orte’ schenken jenen, die ihr Zuhause verloren haben, ein neues Gefühl von Geborgenheit und tragen dazu bei, neue Gemeinschaften aufzubauen. Dieses Thema berührt mich sehr – daran zu arbeiten war nicht nur eine verantwortungsvolle Aufgabe, sondern auch eine Quelle echter Inspiration.”

Olena Staranchuk, Grafikdesignerin und Illustratorin, Pictoric, Kyjiw, Ukraine 

Ansprechpersonen

Nataliya Pryhornytska

Fachreferentin

Tel.: +49 (0)30 25 92 97-102
E-Mail: pryhornytska@stiftung-evz.de

Igor Tyshchenko

Projektkoordination

Tel.: +49 (0)30 25 92 97-25
E-Mail: tyshchenko@stiftung-evz.de

Daria Yemtsova

Projektkoordination

Tel.: +49 (0)30 25 92 97-83
E-Mail: yemtsova@stiftung-evz.de