Vor 56 Jahren riefen die Vereinten Nationen den „Internationalen Tag gegen Rassismus“ aus – wörtlich aus dem Englischen und Französischen übersetzt ein Tag „für die Beseitigung rassistischer Diskriminierung“.
Bewusst wurde der Tag für den 21. März festgelegt; dem Tag, an dem Polizist:innen 1960 in Sharpeville 69 gegen die diskriminierenden Passgesetze des Apartheidsystems demonstrierende schwarze Menschen erschossen. Doch rassistische Diskriminierung ist, im privaten Alltag wie auch im beruflichen Handeln, keine Seltenheit. Fälle wie der Todesfall von Oury Jalloh im Jahr 2005 oder die rassistischen Morde des NSU und deren mangelhafte Aufarbeitung zeigen dies nur zu deutlich. Und sie zeigen den Bedarf, für rassistische Denk- und Verhaltensweisen zu sensibilisieren und ihnen entgegenzuwirken. Dieses Ziel verfolgt auch das durch die Stiftung EVZ und das Bundesministerium der Finanzen in der Bildungsagenda NS-Unrecht geförderte Projekt „Das geht mich ja was an!“ des Geschichtsortes Villa ten Hompel in Münster: So bildet Rassismus in der Berufsausübung einen Themenschwerpunkt der geschichts- und gegenwartsbezogenen Seminare mit Polizei- und Justizangehörigen, die im Rahmen des Projektes neukonzipiert und weiterentwickelt werden sollen.
Seit einigen Wochen sichten Mitarbeitende der Arbeitsgruppe „Antirassismus“ des Projektes nun Fachliteratur und Quellen und diskutieren über die mögliche Gestaltung eines Diskussionsmoduls.
Eine Plakette vor einem Luftschutzbunker mit der polizeilichen Anordnung, dass allen Ausländer:innen das Aufsuchen des Bunkers verboten sei, vorgeblich um die Übertragung von Ungeziefer zu vermeiden. Die Verhaftung und Ermordung eines Zwangsarbeiters, der eine Liebesbeziehung zu einer deutschen Frau pflegte – eine „Rassenschande“ nach damalig gültigem „Recht“.
Beide Quellen stehen exemplarisch für das Handeln staatlicher Institutionen wie Polizei und Justiz in ihrer Rolle, geltendes Recht durchzusetzen und zu verteidigen. Immer unter dem Vorwand des Gemeinwohls, das Richtige für die „Volksgemeinschaft“ zu tun. In ihrem Sinne, durch rassistische Denkweisen verschoben sich allerdings die Grenzen des Sagbaren und des Handelns immer mehr und änderten die Gesetze bis hin zur Legalisierung radikalster Verfolgungsaktionen derjenigen, die nicht als Teil der Gemeinschaft galten.
Doch das Beispiel der Liebesbeziehung zeigt auch, dass einzelne Personen die rassistischen Vorurteile überwanden. In diesem Fall im Privaten, doch es bestanden auch auf beruflicher Ebene Handlungsspielräume, auch für Polizist:innen und Jurist:innen: Wenige von ihnen machten Entscheidungen nicht allein davon abhängig, ob das Verhalten legal war, sondern hinterfragten die Legitimität möglicher Verfolgungsmittel und ob diese mit ihren persönlichen Werten übereinstimmten. Darüber zu diskutieren, inwiefern individuelle Haltungen und Meinungen in staatlichen Institutionen eine Rolle spielen und eigene Denk- und Verhaltensweisen zu reflektieren, ist eines der Ziele der Thementage in der „Villa“.
Als Entnazifizierungsstätte und Sitz des Wiedergutmachungsdezernats der Stadt Münster sollen der Besuch und die Seminare in der Villa aber nicht nur Perspektiven auf die Rolle ihrer Berufsgruppe in der NS-Zeit eröffnen, sondern auch über Brüche und Kontinuitäten im personellen Bereich sowie im Denken und Handeln staatlicher Berufsgruppen nach 1945 und bis in die Gegenwart. Wenn in der Ausstellung vor allem innereuropäischer Rassismus gegenüber Zwangsarbeiter:innen thematisiert wird, welche Gruppen sind dann heute vor allem mit rassistischer Diskriminierung von Polizist:innen und Jurist:innen konfrontiert?
Feindlichkeit gegenüber Menschen aus dem Ausland oder als fremd gelesenen Menschen können beispielsweise vor dem Hintergrund der Anwerbeabkommen und Arbeitsmigration thematisiert werden. Aber insbesondere rassistisch motivierte Gewalttaten und offene Anfeindungen sollen die Grundlage bilden für einen Transfer der historischen Problematik in die Gegenwart. Betroffene dieser Angriffe sollen zu Wort kommen und ihre Erfahrungen schildern können. Aber auch die Sichtweisen von beteiligten oder außenstehenden Polizist:innen und Jurist:innen auf diese Ereignisse können Diskussionen auslösen und Seminarteilnehmende dazu anregen, Haltungen einzunehmen.
Wie blicken Polizist:innen und Justizangehörige etwa auf den Einsatz in Rostock-Lichtenhagen 1992, als hunderte, teils rechtsextreme Randalierende die Zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber (ZAst) und ein Wohnheim für ehemalige vietnamesische Vertragsarbeiter:innen angriffen, und auf Beurteilungen vieler rassistisch motivierter Taten als „Einzelfälle“? Was bedeutet es für Polizei und Justiz, aber auch für Betroffene rassistischer Diskriminierung, dass Rassismus an sich keinen Straftatbestand darstellt und rassistische Beweggründe in Strafverfahren oft mangelhaft Berücksichtigung finden?
Unterschiedlichste Fragen bestimmen aktuell die Diskussionen in der Projektgruppe: Wie genau Reflektionen und Perspektivwechsel angeregt werden sollen und in welcher Form schlussendlich Gespräche entstehen sollen, ist aktuell noch völlig offen. So stellen sich auch Grundsatzfragen, ob im Rahmen der historischen Bildungsarbeit lediglich für solche Denkweisen sensibilisiert werden kann, oder auch Handlungsmöglichkeiten aufgezeigt werden können.
Klar ist aber, dass rassistische Diskriminierung nicht nur am Internationalen Tag oder den Wochen gegen Rassismus problematisiert, sondern ein Ansatz für alltägliches Handeln – im Beruf und im Privaten – gefunden werden soll und rassistische Diskriminierung hoffentlich beseitigt werden kann.