Gastbeitrag der Villa ten Hompel

Am 17. Mai 1990 beschloss die Weltgesundheitsorganisation (WHO), Homosexualität nicht weiter als Krankheit zu klassifizieren. Seit 2005 feiern daher lesbische, schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen (LSBTI*) weltweit den „International Day Against Homophobia“ (IDAHO), den Internationalen Tag gegen Homophobie und Transphobie, am 17. Mai.

Dass Vorurteile, Diskriminierung und auch gewaltsame Übergriffe gegen LSBTI* auch weiterhin keine Seltenheit sind, zeigt nicht nur die Tatsache, dass gleichgeschlechtliche Liebe in 70 Staaten auf der Welt auch heute noch strafbar ist. In der Bundesrepublik Deutschland fällt erst 1994 – vier Jahre nach der bahnbrechenden Entscheidung der WHO – der §175 StGB, der Strafrechtsparagraph, der sexuelle Kontakte zwischen Männern lange Zeit in unterschiedlichen Versionen als „Unzucht“ verfolgte. Nicht zuletzt streicht die WHO erst am 1. Januar 2022 in den „International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems” (ICD)-11 Transsexualität als Krankheit. Ob und wann diese neue Ausgabe der ICD in Deutschland umgesetzt wird, ist noch offen.

Rechtliche Festlegungen folgen in der Regel gesellschaftlichen Diskussionen nach. Und queeres Leben in Deutschland polarisiert. In früheren Diskursen häufig vergessen, kämpfen LSBTI* immer noch dafür, in öffentliche Debatten aufgenommen und gehört zu werden. Im Projekt „Das geht mich ja was an!“ des Geschichtsortes Villa ten Hompel, gefördert von der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ) und dem Bundesministerium der Finanzen (BMF) in der Bildungsagenda NS-Unrecht, soll genau dieser Thematik nun neuer Platz eingeräumt werden. Historische und zeitgenössische Queerfeindlichkeit und die mit ihr verbundenen Aushandlungsprozesse, Veränderungen und Konflikte werden dabei im Hinblick auf polizeiliches und juristisches Handeln und individuelle Handlungsspielräume vermehrt in den Blick genommen.

Mitarbeitende der zuständigen Arbeitsgruppe haben daher in den letzten Wochen inhaltlich und methodisch an einem neuen Seminarmodul gearbeitet, in dem unter anderem die Diskussion der Frage „Inwiefern ist das Recht handlungsleitend?“ in Bezug auf unterschiedliche LSBTI*-Realitäten damals und heute Platz finden soll. Die Geschichte und Wirkung des §175 auf Verfolger und Verfolgte spielt dabei über die Zeit des Nationalsozialismus hinaus eine entscheidende Rolle.

Münster als Schauplatz queerer Geschichte…

Ein Teil des neu erarbeiteten Moduls leitet sich direkt aus Münsters eigener Geschichte ab. Am 29. April diesen Jahres jährte sich die erste Homosexuellen-Demonstration in der Bundesrepublik Deutschland zum 50. Mal – und sie fand gerade im häufig als „Provinz“ bezeichneten Münster mit katholischer Bevölkerungsmehrheit statt. Zum 1. September 1969 war der §175 StGB liberalisiert und männliche Homosexualität unter Erwachsenen ab 21 Jahren nicht mehr als strafbar eingestuft worden. Daraufhin gehen drei Jahre später zum ersten Mal homosexuelle Männer und Frauen gemeinsam auf die Straße – und kämpfen, auch mit Slogans wie „Homos raus aus den Löchern!“, für mehr Sichtbarkeit und gesellschaftliche Anerkennung. Sie weisen darauf hin, dass rechtliche Ungleichheiten nach wie vor bestehen - und Verbesserungen der Gesetzeslage nicht mit gesellschaftlicher Ungleichbehandlung einhergeht.

Gleichzeitig wird der homosexuellen Frauengruppe der Stadt wenige Jahre später, 1975, verwehrt, einen Informationsstand in der Münsteraner Innenstadt aufzustellen. Die Stadt dürfe „derartige Informationen auf öffentlichen Plätzen nicht zulassen“.

Beide Beispiele machen die Vielschichtigkeit der Geschichte von LSBTI* in Deutschland nicht nur vor dem Hintergrund strafrechtlicher Verfolgung deutlich. Dabei treten immer auch Vertreter:innen von Polizei und Justiz als Akteur:innen in den Vordergrund, die, wie am Beispiel Münsters sichtbar wird, je nach Zeitpunkt und Kontext unterschiedlich handelten und entschieden. Diese Grauzonen und individuellen Perspektiven auf die Protagonist:innen der queeren Szene eröffnen den Teilnehmenden im Rahmen des Projekts in den Seminaren der Villa ten Hompel einen breiten Diskussionsraum. Hier kann das Zusammenspiel von Recht, gesellschaftlichen Werten und Normen und der Rolle des Individuums in einem rechtsprechenden oder rechtsvollziehenden Beruf besprochen und diskutiert werden, um daraus die eigene Berufsrolle in Gegenwart und Zukunft zu diskutieren.

Auch heute noch: Gewalt gegen LSBTI*…

Doch die Diskussionen beschränken sich nicht nur auf vergangene Aushandlungsprozesse und Entwicklungen, nicht nur historisch wühlt das Thema queeren Lebens in Deutschland auf. Noch am Christopher Street Day 2016 wird ein junger Mann in Köln Opfer von Polizeigewalt. In den folgenden Jahren steht er drei Mal vor Gericht – und wird, selbst angezeigt, jedes Mal freigesprochen. 2021 erhält er schlussendlich ein Schmerzensgeld in Höhe von 15.000€. Es zeigt sich, dass auch noch heute die verschiedenen Ausprägungen polizeilichen und justiziellen Handelns für LSBTI* von erheblicher Bedeutung sind.

Daher arbeitet die Projektgruppe der Villa ten Hompel momentan daran, zukünftigen Teilnehmenden der Thementage im Geschichtsort eine Vielfalt an Fallbeispielen zur LSBTI*-Geschichte und Gegenwart zur gemeinsamen Erarbeitung und Debatte zur Verfügung zu stellen. Dabei sollen rechtliche und gesellschaftliche Perspektiven aufgezeigt und miteinander in Verbindung gebracht werden. Wichtig ist es zudem, auch jene Betroffene einzubeziehen, die sowohl gesetzlich als auch gesellschaftlich unsichtbar blieben und bleiben. Lesbische Frauen stellen dabei nur eines von vielen Beispielen dar.

Nicht zuletzt werden auch queere Polizei- und Justizbedienstete am Entwicklungsprozess beteiligt. Nicht nur sie, sondern alle Seminarteilnehmer:innen aus Polizei und Justiz sollen jedoch am Ende eines Projekttages feststellen: “Das geht mich ja was an!”

 

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