Giorgi Kikalishvili, Präsident der georgischen NGO „Droni“, deren Ziel die Förderung des Aufbaus einer modernen, gesunden und aufgeklärten Gesellschaft ist. Dieses Ziel wird durch Bildungsinitiativen in den Bereichen Zivilgesellschaft, Konfliktlösung, Menschenrechte und Friedensförderung sowie interkulturelle Beziehungen erreicht.

 

Herr Kikalishvili, seit dem russischen Überfall auf die Ukraine gibt es in Georgien eine große Solidarität mit der ukrainischen Zivilgesellschaft. Wie haben sich die Verhältnisse besonders für junge Georgier:innen seit Februar 2022 geändert?

Junge Menschen in Georgien engagieren sich seit Februar 2022 deutlich stärker poli-tisch als zuvor. Sie nehmen die Ereignisse um sie herum sowohl innerhalb des Landes als auch in der Region kritischer und mit größerer Sorge wahr. Vor allem in der Anfangsphase des Konflikts zeigten sich georgische Jugendliche solidarisch mit der ukrainischen Zivilgesellschaft. Sie führten Online-Kampagnen durch und organisierten gezielte Aktionen wie Spenden- und Sammelaktionen. Im Rahmen unserer Initiativen in Droni organisierten wir beispielsweise mehrere Spenden- und Sammelaktionen, bei denen wichtige Hilfsgüter für ukrainische Flüchtlinge und vertriebene Familien gesammelt wurden. Dazu gehörten Dinge wie Taschenlampen, warme Kleidung, Minigeneratoren und Medikamentenkisten, die in die Ukraine geschickt wurden.

Noch wichtiger ist, dass die jungen Georgier:innen ihre Haltung deutlich zum Ausdruck bringen und sich mit westlichen und europäischen Werten wie Demokratie, Souveränität, Unabhängigkeit und Gleichheit identifizieren. In einer zunehmenden Mitwirkung an zivilgesellschaftlichen Aktionen und Demonstrationen, bei denen für diese Werte eingetreten wird, kommt dieser Wandel deutlich zur Geltung. Darüber hinaus beteiligten sich die Jugendlichen an der Organisation von Workshops und Se-minaren zur Förderung demokratischer Grundsätze und der Menschenrechte, die von unserer Organisation unterstützt werden.

 

Vor kurzem hat auch das georgische Parlament das Gesetz zu „ausländischen Agenten“ verabschiedet. Was bedeutet dies für die georgische Zivilgesellschaft und die nachfolgenden Generationen?

Durch das Gesetz zu „ausländischen Agenten“ wird ein Klima der Unsicherheit geschaffen, das Innovation und Kreativität einschränkt und es erschwert, Bedürfnisse zu äußern, Situationen zu bewerten und den politischen Entscheidungsträger:innen gegenüber Lösungsansätze aufzuzeigen. Trotz aller Kritik an der Regierung gibt es in Georgien eine starke Zivilgesellschaft, die immer wieder konstruktive Lösungen vorlegt. Wir befürchten, mit diesem Gesetz sowohl die kritischen Stimmen als auch die innovativen Lösungsansätze zu verlieren, die wir bisher einbringen konnten. Unsere Meinungsfreiheit ist zweifellos gefährdet!

Die Sorge ist, dass das Gesetz missbraucht und gegen Organisationen und Einzelpersonen eingesetzt wird, um deren Arbeit durch angebliche Überwachung und Ermittlungen einzuschränken und zu verhindern. Das Gesetz ermöglicht es praktisch jedermann, Anschuldigungen zu erheben, wodurch Organisationen aufgrund subjektiver, konservativer oder abweichender Ansichten zerschlagen werden könnten. Besonders groß ist diese Gefahr für Organisationen wie Droni, die sich aktiv für die Förderung von Menschenrechten, Konfliktlösung und Friedensförderung engagieren. So wurden bereits Versuche unternommen, unsere Initiativen als ausländische Einflussnahme zu bezeichnen, was unsere Glaubwürdigkeit untergräbt und unsere Fähigkeit, effektiv zu handeln, gefährdet. Wie in anderen Ländern mit ähnlichen Gesetzen zu beobachten ist, könnte das Gesetz zu Erpressung und Drohungen gegen Organisationen führen, die sich für das Gemeinwohl einsetzen.

Die internationale Gemeinschaft, einschließlich wichtiger Verbündeter und Partner Georgiens, hat sich deutlich gegen dieses Gesetz positioniert. Internationale Organisationen und EU-Institutionen haben davor gewarnt, dass ein solches Gesetz Georgien von der Europäischen Union entfremdet und damit unsere Bestrebungen nach europäischer Integration zunichtemacht. Das Gesetz läuft den von der EU vertretenen Grundsätzen von Demokratie, Transparenz und Menschenrechten zuwider. Es handelt sich also nicht nur um eine innerstaatliche Angelegenheit, sondern um einen beträchtlichen Dämpfer auf unserem Weg zur europäischen Integration.

Inwieweit wird das neue Gesetz Dronis Arbeit verändern?

Im Moment kämpfen wir gegen dieses Gesetz, weil wir wissen, welche tiefgreifenden Veränderungen es für alle NGOs mit sich bringen wird. Wir sehen mehrere negative Auswirkungen voraus: Die Jugendarbeit und die Jugendbetreuer:innen werden ihren Stellenwert verlieren. Sie standen nie ganz oben auf der Liste der Maßnahmen und Förderungen, aber mit den neuen Änderungen werden sie noch „überflüssiger“ und damit zu einem entbehrlichen Teil der Gesellschaft. Im Bereich der sektorübergreifenden Zusammenarbeit erwarten wir einen deutlichen Rückgang der Zusammenarbeit mit Kommunen, Behörden und öffentlichen Einrichtungen. Unsere laufenden Projekte mit kommunalen Trägern im Bereich der Jugendarbeit und der öffentlichen Gesundheitserziehung laufen Gefahr, auf erhebliche Hürden zu stoßen oder ganz eingestellt zu werden. Sicherheitsbedenken werden auch unsere Möglichkeiten einschränken, Jugendarbeit im ländlichen Raum und öffentliche Veranstaltungen durchzuführen. Außerdem sind erfolgreiche Programme für den ländlichen Raum, die Bildungsworkshops und Hilfsmittel für unterversorgte Gemeinden anbieten, von Kürzungen oder gar der Einstellung bedroht.

Negativ wirkt sich auch aus, dass Projekte, die auf Gleichstellung, Diversität und Inklusion ausgerichtet sind, wegen der zunehmenden Unsicherheit eingeschränkt werden oder nicht mehr öffentlich stattfinden können. Diese Initiativen, die für die Förderung einer inklusiven Gesellschaft unerlässlich sind, können verhindert werden, wodurch marginalisierten Gruppen die notwendige Unterstützung und Repräsentation vorenthalten wird. Zudem werden die Mitarbeiter:innen von NGOs stigmatisiert und mit unzutreffenden Etikettierungen versehen: ein Trend, der schon jetzt spürbar ist. Einige unserer Mitarbeiter:innen wurden beispielsweise bereits vor der vollständigen Inkraftsetzung des Gesetzes schikaniert und grundlos beschuldigt, ausländische Agenten zu sein. Diese Stigmatisierung untergräbt unsere Arbeit und belastet die Stimmung und die Sicherheit unserer Mitarbeiter:innen. 

Kurzum: Das neue Gesetz gefährdet den Umfang und die Wirksamkeit unserer Projekte und Programme, die eine moderne, gesunde und gebildete Gesellschaft fördern sollen. Wir bleiben unserem Auftrag verpflichtet, sind uns aber der großen Herausforderungen bewusst.
Obwohl NGOs formell weiterhin in der Lage sein werden, Zuschüsse und Projekte aus den verschiedenen EU-Programmen und von internationalen Geldgebern zu beantragen, wird das Vergabeverfahren erheblich erschwert. Die Anforderungen des Gesetzes können diese Institutionen davon abhalten, Partnerschaften mit georgischen NGOs einzugehen, da die Gefahr besteht, dass ihre Mittel als ausländische Einflussnahme angesehen werden. Der Zugang zu wichtigen finanziellen Mitteln, die wir für unser Programm benötigen, wird dadurch erheblich erschwert.

Das Gesetz kann sich negativ auf das Ansehen und die Glaubwürdigkeit von NGOs in der Öffentlichkeit und bei möglichen internationalen Partnern auswirken. Als „ausländischer Agent“ oder einfach als Agent oder Spion bezeichnet zu werden, kann zu einem Vertrauensverlust in der Öffentlichkeit führen und es erschweren, die notwendige Unterstützung für unsere Projekte im In- und Ausland zu erhalten.

Der durch das Gesetz verursachte zusätzliche rechtliche und administrative Aufwand könnte Ressourcen von unserer Kernaufgabe abziehen. Dazu gehören Zeit und Aufwand für die Einhaltung der Vorschriften, für die Berichterstattung und für die Abwehr unbegründeter Vorwürfe. Alles, was sonst für eine effektive Projektarbeit genutzt werden könnte.
Unsere persönliche Sicherheit und das Wohlergehen unserer Mitarbeiter:innen, wie auch das vieler anderer NGOs, sind bereits jetzt in Gefahr. Bei einigen Mitarbeiter:innen unserer Organisation und sogar bei ihren Eltern sind Drohanrufe von Unbekannten eingegangen. Zusätzlich wurden einige unserer Mitarbeiter:innen mittels Bost online erpresst. Trotz dieser Herausforderungen ist unser Wille ungebrochen, aber die Sicherheit und die Moral unseres Teams sind in Gefahr!


Ergänzung: Als NGO für Jugendliche und als georgische Bürger:innen sind wir gegen jegliche Barrieren zwischen Georgien und Europa. Wir verbinden mit Europa ein buntes Leben, in dem die eigene Existenz von Bedeutung ist, in dem man sich sozial und wirtschaftlich sicher fühlt und in dem menschliche Werte wichtig sind und respektiert werden. Das ist und bleibt die Überzeugung unseres Landes, die durch Artikel 78 unserer Verfassung untermauert wird. Wir sind überzeugt, dass sich die Stimme der Jugend trotz aller Auseinandersetzungen am Ende durchsetzen und uns zum Erfolg führen wird. Wir bekennen uns fest zum europäischen Weg, denn er entspricht den Bestrebungen und Werten der Menschen, die in Georgien leben.

Zur Listenansicht