Drei Fragen an... Chaber

Chaber, Executive Director bei ILGA-Europe

Guten Morgen, Chaber. Seit Oktober 2023 leiten Sie ILGA-Europe. Was treibt Sie in dieser Funktion an und was haben Sie sich für dieses Jahr vorgenommen?

Wenn wir nachhaltige Veränderungen für die LGBTIQ-Gemeinschaften erreichen wollen, brauchen wir meiner Meinung nach starke und gut ausgestattete LGBTIQ-Organisationen mit vielseitigen Strategien. Wir brauchen Menschen, die mit Entscheidungsträger:innen sprechen. Wir brauchen Menschen, die Herz und Verstand erreichen, die Community-Mitglieder unterstützen und ihre Position stärken. Und diejenigen, die ihre kritischen Stimmen nutzen, um die Bewegung in die Verantwortung zu nehmen. ILGA-Europe ist sich dessen bewusst und gestaltet ihre Arbeit so, dass sie die Nachhaltigkeit der Bewegung sichert und durchdachte und strategische Veränderungen an vielen Fronten vorantreibt - von der Politik bis hin zur Stärkung und Ausstattung von Organisationen. Das allein ist schon eine große Motivation für mich. In diesem Jahr werden wir viele neue Initiativen starten, um einige der Lücken zu schließen, die wir gesehen haben - Arbeit an der sozialen Akzeptanz, Aufbau stärkerer Bündnisse, Aufbau von Kapazitäten für neue und sich entwickelnde Initiativen. Es ist aber auch das Jahr der Europawahlen. Daher werden wir uns sehr darauf konzentrieren sicherzustellen, dass LGBTIQ-Rechte in der gesamten Region ganz oben auf der Agenda bleiben, auch wenn sich die politische Landschaft verändert.

 

Seit über einem Jahr läuft das Programm zur Stärkung von LGBTIQ-Selbstorganisationen, das die Stiftung EVZ und ILGA-Europe gemeinsam durchführen. Zahlreiche Projekte werden unterstützt. Hat sich das Format bislang bewährt und gibt es Highlights, die Sie gerne mit uns teilen möchten?

ILGA-Europe stellt LGBTIQ-Organisationen in dieser Region schon seit Jahren finanzielle Mittel und Ressourcen für den Kapazitätsaufbau zur Verfügung, aber dank der Stiftung EVZ konnten wir unsere Arbeit verstärken. Mit der Unterstützung haben wir unsere Hilfe nicht nur finanziell aufgestockt, sondern auch die Nachhaltigkeit der geleisteten Arbeit erhöht, da wir nun mehrjährige Finanzierungen anbieten. Auf diese Weise haben die Organisationen die seltene Gelegenheit, Strategien zu entwickeln und ihre Arbeit an die sich ständig verändernden Gegebenheiten anzupassen - viel besser als bei einer restriktiven Projektfinanzierung, bei der die Aktivitäten Vorrang vor der Wirkung haben. Als Beispiel sei hier ein Partner genannt, der ein horizontal strukturiertes Netzwerk aufgebaut hat, das elf LGBTIQ-Community-Zentren zusammenbringt, die strategisch über verschiedene Regionen eines Landes verteilt sind. Diese Zentren sind zu wichtigen Anlaufstellen für LGBTIQ-Personen geworden und bieten eine Reihe an Dienstleistungen an, die von Beratung bis hin zu Bildung reichen. Die Zentren wirken sich positiv auf das Wohlergehen der Community aus und verbessern das Leben von LGBTIQ-Personen selbst in schwierigen Kontexten erheblich.

 

In weiten Teilen Europas ist die LGBTIQ-Community einem zunehmenden und starken Druck ausgesetzt. In Russland wurde die internationale LGBTIQ-Bewegung kürzlich sogar als „extremistische Organisation“ eingestuft. Wie kann die Community aktuell am besten unterstützt werden?

Die Situation in Russland war bereits seit Jahren schwierig.  Diese Entscheidung des russischen Gerichtshofs stellt jetzt aber ein Novum dar und ist eine echte Bedrohung für LGBTIQ-Organisationen. Mit Sicherheit wird es zu einer verstärkten Flucht von Menschen kommen. Hier wird jede Unterstützung, die denjenigen angeboten wird, die auswandern wollen - Ressourcen, Visa - äußerst wertvoll sein. Allerdings sollten wir auch nicht vergessen, dass die große Mehrheit der Aktivist:innen im Land bleiben und ihre Arbeit fortsetzen wird, vor allem die Arbeit zur Unterstützung von Communitys. Wohltätige, politische und regierungsunabhängige Akteur:innen sind deshalb weiter aufgerufen, Verstöße anzuprangern und LGBTIQ-Gruppen und -Organisationen in Russland mit finanziellen und anderen Mitteln zu unterstützen, da diese ihre Arbeit auch unter den widrigsten Umständen fortsetzen werden. ILGA-Europe wird ebenfalls seine Unterstützung und sein Engagement aufrechterhalten.

 

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