In der Erinnerung an NS-Verbrechen gibt es noch immer viele weiße Flecken und unerzählte Geschichten. Der diesjährige Fotowettbewerb mit dem Titel "Unknown Stories of NS Persecution" rückt genau diese Leerstellen in den Fokus. Passend zu unserem Jahresthema #WatchOutHstry suchten wir Motive, die weniger bekannte Orte oder Geschichten des NS-Unrechts beleuchten.
Platz 1 (I) | Morgenstimmung im Herbst auf dem Außengelände des ehemaligen Kriegsgefangenenlagers STALAG X B Sandbostel. Dieses fotografisch herausragende Bild der Gedenkstätte lädt zum Nachdenken ein: ein Ort des Verbrechens mit Symbolen von Neuanfang, aber auch der Gefahr, vernachlässigt zu werden.
© Carsten Karstensen
Platz 1 (II) | „Frau Mariška erinnert sich und erzählt von den Soldaten, ihren Eltern und Geschwistern während des Zweiten Weltkriegs, aber auch vom Hunger und davon, wie ein richtiges Romafest aussah und vom Leben in einem Dorf, in dem man einer ethnischen Minderheit angehört. Heute sind ihre Erinnerungen verworren, einmal spricht sie von Mädchen, die sich im Wald verstecken, dann von ihrer Einsamkeit und dann wieder davon, dass ihr ganzer Körper schmerzt." – Barbora Haviarová. Ein gemäldeartiges, berührendes Foto von „Frau Mariška“, die als Kind den Porajmos in der Slowakischen Republik überlebte.
© Barbora Haviarová
Platz 2 | „Das Bild, aufgenommen mit meiner Kamera-Drohne, zeigt die Ruinen mehrerer (Unter-)Offiziersunterkünfte des Lagers in Ban-Saint-Jean, der 'Rose der Maginot-Linie'. Keines der Häuser weist mehr ein Dach auf; die Vegetation hat längst die Kontrolle übernommen." – Marianne Spiller. Zunehmend verfallende Häuser, die von der Wehrmacht genutzt worden und in deren Umgebung bis zu 20.000 sowjetische Zwangsarbeiter:innen umgekommen sein sollen. Ein Foto als Aufforderung, sich mit dieser ungeklärten – und durch ein Bauprojekt unmittelbar bedrohten – Geschichte auseinanderzusetzen.
© Marianne Spiller
Die Synagoge in der Dohány-Straße in Budapest ist die größte in Europa. Im Jahr 1944 war sie Teil des jüdischen Ghettos und diente hunderten Jüdinnen und Juden als Unterkunft. Über zweitausend Menschen, die im Ghetto an Hunger und Kälte starben, sind im Innenhof der Synagoge begraben.
© Ani Melikidze
Maria Antonovna Galuzova ist eine optimistische und fröhliche Frau. Angesichts ihres Lebenswegs ist das keine Selbstverständlichkeit: Maria wurde 1944 mit ihrer Mutter und zwei Brüdern aus einem kleinen Dorf bei Minsk in ein deutsches KZ deportiert. Dennoch verlor sie nie ihre innere Stärke und Zuversicht und ist damit eine große Inspiration für ihre Fotografin Ina Shkurko, die sie während eines Projekts der Stiftung EVZ kennenlernte.
© Ina Shkurko
Das Foto zeigt die 87-jährige Maria Nevmerzhytska im Garten ihres Heimatdorfes Luchanky im ukrainischen Bezirk Zhytomyr. Das Bild wurde aufgenommen, als sie über ihre Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg sprach. Luchanky wurde 1942 während einer Vergeltungsaktion von den Nazis niedergebrannt und 255 Häuser zerstört. Maria, ihre Mutter, zwei Schwestern und mehr als 120 Dorfbewohner:innen deportierte man in den Süden der Ukraine, wo sie Zwangsarbeit verrichten mussten. Das Schicksal von Marias Vater ist noch immer unbekannt. Sie gehört zu den letzten Bewohner:innen von Luchanky, die sich an diese Tragödie erinnern.
© Anna Yatsenko
Dass Samuel "Mitya" Bykov überlebt hat, grenzt an ein Wunder. Für 54.000 Menschen, meist jüdische Frauen, Kinder und alte Menschen, sollte das kleine Städtchen Bohdaniwka im Winter 1941/42 zum Massengrab werden. Mitya gehört zu den 127 Menschen, die das Vernichtungslager überlebt haben. Er kommt jeden Herbst nach Bohdaniwka und bringt immer andere Holocaustüberlebende, Journalist:innen und in der Erinnerungsarbeit engagierte Menschen mit. Diese Orte verdienen unsere Aufmerksamkeit, heute und morgen – gegen das Vergessen.
© Ira Peter
Platz 1 | Das Bild entstand während eines eintägigen Sommerausflugs, der im Rahmen des unten genannten Projekts für ältere Teilnehmer:innen organisiert wurde. Das Projekt findet seit mehreren Jahren statt, 2020 aufgrund der Covid-19-Pandemie in kleineren Gruppen. Das Foto zeigt den 96-jährigen Krzysztof mit einem Alpaka, das bei Traumatisierten und Angstpatient:innen als Therapietier eingesetzt wird. Die Reise und das Treffen mit Alpakas machten Krzysztof viel Spaß. Es war das erste Mal, dass er Alpakas sah und erlebte - er war entzückt und dankbar. | Projekt: „Hilfe, Bewusstsein, Würde - Hausbesuche von Freiwilligen und Gruppenaktivitäten für einsame ältere Menschen".
© Aleksandra Kossowska
Platz 2 (I) | Junge Aktivist:innen aus Melitopol (Ukraine) sammelten bei deutsch-ukrainischen Jugendbegegnungen Erfahrungen in der Revitalisierung von Industriegebäuden in Deutschland. Das Projekt hilft jungen Menschen dabei, Initiator:innen und Akteur:innen des Wandels auf lokaler Ebene zu werden. Das Foto ist ein Spiegel für den Hunger nach Erforschung, Reinkarnation und der Arbeit am persönlichen und sozialen Wohlbefinden. | Projekt „InDUSTreal"
© Mark Chikivchuk
Platz 2 (II) | Der Engel ist ein Symbol St. Petersburgs. Im Zweiten Weltkrieg machte die Zerstörung und die damit verbundene Restaurierung diesen Engel zu einem Symbol des Widerstands. Weit über eine Millionen Menschen kamen während der Leningrader Blockade zwischen 1941 und 1944 ums Leben. Die Erinnerungen daran sind in Russland und Deutschland extrem unterschiedlich: Das Verschwinden des Verbrechens auf der einen Seite und die Stilisierung der Befreiung auf der anderen bilden einen Graben zwischen den beiden Ländern. Das von der Stiftung EVZ geförderte Theaterstück ist der Versuch, diesen Graben zu überwinden. Dabei arbeiteten deutsche und russische Schauspieler:innen zusammen am Text, den die Moskauer Theatermacherin Elena Gremina aus dokumentarischem Material schuf. | Foto: Ofa Feldman, eingesendet von Lucia Bontjer im Auftrag von „Drama Panorama“, Theaterstück „67/871“ (67 Geschichten aus 871 Tagen Blockade).
© Ofa Feldman