Luis Engelhardt leitet das Projekt „Zusammen1 – Für das, was uns verbindet“ in Trägerschaft von MAKKABI Deutschland und in Kooperation mit dem Zentralrat der Juden in Deutschland. Im Interview erklärt der Erziehungswissenschaftler und Sportpädagoge wie sich Antisemitismus auf deutschen Sportplätzen äußert und wie Zuschauer:innen und Vereine Betroffene vor Ort unterstützen können.
Sport ist das Kulturphänomen unserer Zeit. Seine Wirkung in die Gesellschaft kann von unschätzbarem Wert sein, wenn Fairplay konsequent und mit Achtung gelebt wird. Gleichzeitig ist Antisemitismus auf deutschen Sportplätzen Ausdruck eines breiteren gesellschaftlichen Problems, das im Sport, insbesondere im Fußball, regelmäßig in diskriminierenden oder gewaltvollen Vorfällen sichtbar wird und gleichzeitig viel zu oft gar nicht erst als solcher erkannt wird. Eine Befragung aller Makkabi-Mitglieder ergab, dass 68 % der Befragten aus den Makkabi-Fußballabteilungen mindestens einmal persönlich von einem antisemitischen Vorfall betroffen waren – viele sogar mehrfach.
Eine der am meisten verbreiteten Erscheinungsformen im Fußball ist das antisemitische Othering, etwa die Abwertung des gegnerischen Teams als „Juden“. Wir beobachten aber auch eine starke Präsenz antisemitischer Verschwörungserzählungen – meist mit einer Bezugnahme auf „Geld und Macht“. Aktuell steht insbesondere der israelbezogene Antisemitismus im Fokus, der seit dem 7. Oktober 2023 massiv zugenommen hat und sich zuletzt in Fanchoreografien oder öffentlichen Äußerungen von Profifußballern artikulierte.
Zu unserem Bedauern ist der Fußball ein Spielfeld für antisemitische Äußerungen und Handlungen. Daher hat MAKKABI Deutschland im Jahr 2020 mit seinem Projekt „Zusammen1“ eine zentrale Anlaufstelle für die Bearbeitung antisemitischer Vorfälle sowie für antisemitismuskritische Bildungsarbeit im und durch Sport ins Leben gerufen. Wir sind in den Bereichen Forschung, Bildungsangebote und Strukturentwicklung aktiv.
Zur Erhellung des großen Dunkelfelds und zur Verbesserung einer professionellen Nachsorge hat Zusammen1 in Kooperation mit dem Bundesverband RIAS vor einem Jahr einen Meldebutton für antisemitische Vorfälle im Sport eingeführt. Darüber können Vorfälle niedrigschwellig und anonym gemeldet und dokumentiert werden. Zusätzlich bieten wir die persönliche Kontaktaufnahme, Fallbegleitung oder (Verweis-)Beratung an. Das Zusammen1-Team nimmt Kontakt mit den betroffenen Personen auf, um die benötigte Unterstützung zu ermitteln und einfach für sie da zu sein. Dank unserer guten Vernetzung im organisierten Sport – insbesondere im Fußball – können wir schnell und gezielt die relevanten Institutionen einbeziehen. In vielen Fällen erfolgt eine Weiterleitung an OFEK.
Zu oft bleiben antisemitische Äußerungen und Gewalt unwidersprochen. Für Betroffene können solche Situationen besonders belastend sein, selbst wenn sie nicht direkt adressiert werden. Seit dem 7. Oktober 2023 berichten viele Betroffene von einer zunehmenden gesellschaftlichen Isolation und dem erschreckenden Schweigen der Gesellschaft angesichts antisemitischer Vorfälle.
Deshalb ist es wichtig, Menschen für die Ausdrucksformen von Antisemitismus zu sensibilisieren und zu ermutigen, klar Position zu beziehen, beispielsweise durch Widerspruch oder die Unterstützung der Betroffenen. Dem Gefühl der Isolation von Betroffenen kann Solidarität entgegengesetzt werden, indem man ihnen signalisiert, dass sie nicht allein sind – etwa durch Gesprächsangebote, gemeinsames Verlassen der Situation oder öffentliches Statement.
Vereinen lege ich regelmäßige Bildungsangebote zu den Themenfeldern Antisemitismus oder auch jüdisches Leben in Deutschland ans Herz. Das Angebot von Zusammen1 reicht von Workshops über Vorträge hin zu Pädagogischen Trainings – eine Kombination aus klassischen Fußballtrainings mit Methoden der politischen Bildung zur Ermöglichung eigener Zugänge und Entwicklung von Handlungsstrategien – vor Ort, auf dem Platz.