© Lisa Vlasenko
Es ist ganz, wie sie sagen: Wie im Rest der Welt sehen wir auch in Europa in vielen Länder die vermehrte Einschränkung der zivilgesellschaftliche Handlungsräume. Der Civicusmonitor zeigt das anschaulich auf seiner Weltkarte. Obwohl jedes Land natürlich seine Eigenheiten hat, liegen die Gründe in der Summe betrachtet über die Länder hinweg in erstarkende autoritären Kräften und einer zunehmenden Sekurisation, also der Setzung von sicherheitspolitischen Agenden, etwa im Namen der Terrorbekämpfung, auf Kosten von freiheitlichen Spielräumen.
In Deutschland wird zudem darüber diskutiert, wie politisch die Zivilgesellschaft sein darf. Skeptiker sehen die politische Willensbildung primär bei Parteien und berufen sich auf Artikel 21 GG. Befürworter eines partizipativeren Demokratieverständnisses betonen hingegen, dass Parteien laut demselben Artikel nur mitwirken und daher auch die Zivilgesellschaft ein legitimer Ort politischer Willens- und Meinungsbildung sein sollte. Vor dem Hintergrund dieses Konfliktes werden politisch engagierte Organisationen etwa über das Gemeinnützigkeitsrecht angegriffen, um ihre Handlungsspielräume einzuschränken und ihre finanzielle Basis zu untergraben. Hinzu kommt der starke Rechtsruck in Deutschland, bei dem rechtsradikale Akteure die Zivilgesellschaft gezielt als Feindbild inszenieren. Sie versuchen, demokratische Initiativen durch Kampagnen, Kleine Anfragen im Parlament, Hetze und Gewalt einzuschüchtern. Gleichzeitig bauen sie eigene Strukturen auf, die prodemokratische Organisationen verdrängen – etwa, indem sie den einzigen Kultur- oder Sportverein im Dorf übernehmen.
Zwischen Demokratie und Zivilgesellschaft gibt es einen starken Zusammenhang; eine starke Zivilgesellschaft fördert demokratische Prozesse, indem sie Partizipation ermöglicht, sozialen Zusammenhang stärkt und als Korrektiv staatlicher Macht fungiert. Sie kann pluralistische Debatten fördern und autoritären Tendenzen entgegenwirken. Gleichzeitig schafft eine gefestigte Demokratie den Raum für eine freie und vielfältige Zivilgesellschaft, die gesellschaftliche Interessen artikuliert und Menschen zur Mitgestaltung befähigt. Das heißt wenn die Handlungsspielräume einer kritischen, prodemokratischen Zivilgesellschaft schrumpfen, leidet auch die demokratische Qualität.
In der paneuropäischen Sicht hat Zivilgesellschaft wesentlich zu europäischem Bewusstsein beigetragen. Viele Initiativen fördern den grenzüberschreitenden Austausch, stärken die gemeinsame europäische Identität und wirken als Brücke zwischen Bürger:innen und Institutionen. Besonders in Bereichen wie Menschenrechte, Umwelt- und Sozialpolitik oder Rechtsstaatlichkeit setzen sich viele zivilgesellschaftliche Akteure für ein demokratisches und solidarisches Europa ein. Ohne sie wäre die europäische Integration weniger inklusiv, partizipativ und widerstandsfähig, und vielleicht wird sie auch aus diesem Grund besonders angegangen.
Es gibt mehrere Ebenen, auf denen Bürger:innen aktiv werden können. Zum einen geht es darum, sich selbst zu engagieren. Die jüngsten Anti-AfD-Demonstrationen haben eindrucksvoll gezeigt, welche prodemokratische Mobilisierungsdynamik möglich ist. Jede:r kann dazu beitragen, indem er oder sie sich in Vereinen, Initiativen oder politischen Prozessen engagiert und so demokratische Werte stärkt. Ebenso wichtig ist die Unterstützung der Zivilgesellschaft. Je unabhängiger zivilgesellschaftliche Organisationen sind, desto größer ist ihre Kritikfähigkeit. Wer solche Initiativen finanziell oder durch ehrenamtliche Arbeit unterstützt, hilft ihnen, sich weniger auf staatliche Mittel verlassen zu müssen. Crowdfunding und Spenden sichern ihre Unabhängigkeit und damit auch ihre Handlungsfähigkeit – denn Demokratie gibt es nicht zum Nulltarif. Darüber hinaus ist es essenziell, Protest zu zeigen und Partizipation einzufordern, wenn demokratische Freiheiten eingeschränkt werden. Bürger:innen können sich gegen solche Entwicklungen wehren, von der Regierung mehr Partizipationsmöglichkeiten verlangen und sich für politische Bildungsangebote an Schulen einsetzen. Letztlich braucht es ein breites gesellschaftliches Bewusstsein für die Bedeutung von Engagement und Zivilgesellschaft, um demokratische Strukturen langfristig zu erhalten und zu stärken.
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