Aleh Razhkou, Vorsitzender der belarussischen NGO „Journalists for Tolerance“ (J4T)

Herr Razhkou, am 26. Januar fanden in Belarus sogenannte Präsidentschaftswahlen statt. Die EU kritisierte, dass die „Scheinwahlen weder frei noch fair“ gewesen seien. Wie würden Sie Situation der Zivilgesellschaft vor den Wahlen beschreiben?

Die Wahlen 2025 waren eher eine Formalität, eine One-Man-Show. Die belarussische Zivilgesellschaft wurde seit 2020 vollständig zerschlagen. Der Staat hat alle registrierten NGOs aufgelöst und einige sogar als extremistische Organisationen eingestuft. Dasselbe gilt für die Medien: Unabhängige Kanäle wurden als extremistisch gelabelt, das Weiterverbreiten ihrer Informationen gilt nun als Straftat. Alternative Präsidentschaftskandidat:innen, die 2020 antraten, sitzen entweder in Haft oder wurden ins Exil gezwungen. Dem Menschenrechtszentrum Wjasna zufolge wurden in Belarus zwischen 2020 und 2024 rund 65.000 Menschen verhaftet. Am 17. Oktober 2024 gab es im Land 1.288 politische Gefangene. In dieser repressiven Umgebung finden nun Wahlen statt. Alle aktuellen Kandidat:innen waren nichts weiter als Marionetten des Lukaschenko-Regimes. Der gesellschaftliche Druck, unter dem die Wahlen stattfanden, war so hoch wie nie. Alle alternativen, d. h. nicht staatlich anerkannten, Informationsquellen sind verboten. Einige der wenigen verbliebenen Aktivist:innen und Journalist:innen, die bisher versuchten, ihrer Arbeit verdeckt nachzugehen, wurden vorsorglich vom KGB festgenommen. All das dient dazu, am Wahltag ein klinisch reines Bild zu präsentieren – nämlich einen lupenreinen Sieg für Lukaschenko in einer Wahl, in der niemand eine echte Wahl hat.

Anfang 2024 erließ Belarus ein neues repressives Gesetz gegen Menschen der LGBTIQ-Community. Gleichgeschlechtliche Beziehungen und Transgender-Personen sind darin als „Pornografie“ definiert und Haftstrafen werden angedroht. Welchen besonderen Schwierigkeiten sieht sich die LGBTIQ-Community in Belarus gegenüber?

Die Lage ist düster. Die LGBTIQ-Community steht seit 2020 im Visier der Strafverfolgungsbehörden. Da sich queere Aktivist:innen mit Regenbogenflaggen an den damaligen Protesten beteiligt haben, nutzen die Behörden bestehende homophobe Stimmungen in Belarus aus, um die Protestbewegung von 2020 insgesamt zu diskreditieren. Das geschieht mittels aggressiver Propaganda und Hassrede gegen queere Menschen in den Medien. Ein weiteres Mittel sind erniedrigende Videos, in denen Menschen gezwungen werden, ihre sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität offenzulegen, oft begleitet von intimen Fotos oder privaten Nachrichten, die der Öffentlichkeit präsentiert werden. Viele aus der Community wurden verhaftet oder stehen unter Hausarrest, weil sie an Protesten teilgenommen haben. Häufig werden gegen queere Menschen Anschuldigungen wie Rowdytum oder Beteiligung an Massenkrawallen erhoben.

Im Frühjahr 2024 kam ein weiteres Repressionsinstrument hinzu: das sogenannte Pornografiegesetz. Es definiert „Darstellungen nicht traditioneller sexueller Beziehungen und/oder sexueller Verhaltensweisen“ und „Darstellungen von Transgender-Personen“ als Pornografie. Die schwammige Formulierung lässt großen Interpretationsspielraum und gibt den Behörden damit mehr Möglichkeiten, die Community zu unterdrücken. Das Gesetz droht Haftstrafen von bis zu vier Jahren an, und erste Festnahmen hat es auf dieser Grundlage bereits gegeben. Uns sind Fälle von Transgender-Personen bekannt, die aufgrund dieses Gesetzes verhaftet wurden. Verschlimmert wird die Situation noch dadurch, dass sich einige in der Community nicht bewusst sind, welchen Risiken sie sich aussetzen. Da unabhängige Medien nun verboten sind, haben viele Menschen Angst, Nachrichten oder unabhängige Kanäle in den sozialen Medien zu verfolgen.

Wie gehen Betroffene und die Zivilgesellschaft mit dieser Bedrohung um? Welche Unterstützung ist aus dem Exil heraus möglich?

Jede:r versucht so gut wie möglich, damit umzugehen. Einige Community-Mitglieder, die noch in Belarus leben, verstecken sich und passen sich an. Sie meiden den Kontakt zu anderen LGBTIQ-Personen, verfolgen die Nachrichten nicht und isolieren sich völlig. Andere versuchen, sich in kleinen Gruppen zu organisieren, etwa für Filmvorführungen, Unterstützungstreffen und ähnliche Events. Doch da es immer häufiger Verhaftungen gibt, werden auch Präsenzveranstaltungen immer seltener. Ansonsten können wir unsere Zielgruppen noch online über Plattformen wie Instagram, TikTok und Telegram erreichen. Diese Online-Kanäle sind immer noch eine relativ sichere Möglichkeit, Informationen und Verhaltenstipps auszutauschen oder sich solidarisch zu zeigen. Sie tragen dazu bei, dass sich Menschen inmitten dieser Krise nicht völlig alleingelassen fühlen. Unsere Organisation erstellt hilfreiche Inhalte, zum Beispiel Sicherheitshinweise für Dates oder Erklärungen zu neuen Gesetzen. Damit geben wir Community-Mitgliedern eine gewisse Sicherheit, damit sie sich nicht hilflos und verzweifelt fühlen. Wer diese Inhalte unterstützen möchte, kann dies über Patreon tun. Denjenigen, die bereits im Visier der Polizei sind, aber noch nicht in Haft sind, versuchen wir bei der Ausreise zu helfen. Wir unterstützen sie bei Visumanträgen und organisieren finanzielle Überbrückungshilfe für den Neustart im Ausland. Unsere Kolleg:innen von der Initiative Prismatica sammeln beispielsweise gerade Spenden, um Geflüchteten zu helfen.

 

Sie möchten mehr über Zivilgesellschaften unter Druck erfahren? Jetzt das Interview mit Andrej Stryshak, Leiter der BYSOL-Stiftung, lesen.

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