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Die Zivilgesellschaft in der Slowakei steht unter Druck: Wie in vielen Ländern setzt die Regierung gezielte Maßnahmen ein, um zivilgesellschaftliches Handeln einzuschränken. Zudem sind Aktivist:innen auch Diffamierungen, Drohungen und Gewalt ausgesetzt. Ein Gespräch über die Situation im Land mit Sandra Polovková, der Direktorin von Post Bellum, einer Organisation der historisch-politischen Bildung.
Der Anstieg von Rechtsextremismus und Antisemitismus in der Slowakei sehr besorgniserregend. Diese Entwicklung ist jedoch globaler und nicht nur auf die Slowakei begrenzt. Es gibt im Land zwar keine Organisationen mehr, die den Holocaust direkt und ohne Umschweife leugnen. Aber, sie operieren jetzt auf subtilere Weise: sie nutzen die Möglichkeiten der Desinformation, insbesondere im Zusammenhang mit aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen wie der COVID-19-Pandemie und dem Krieg in der Ukraine, und verbreiten verzerrte Darstellungen.
Seit der Regierungsübernahme im Oktober 2023 hat es den Versuch gegeben, die Demokratie in der Slowakei zu untergraben. Die Regierung, die vorgibt, der sozialen Linken anzugehören, in Wirklichkeit aber rechtsradikal ist, leugnet grundlegende Fakten und verzerrt historische Fakten. So behaupten beispielsweise Vertreter:innen der slowakischen Regierung die Erde sei flach, sie leugnen die Existenz der COVID-19-Pandemie und so weiter….
Seit mehr als 12 Jahren arbeiten wir bei Post Bellum daran, Lebensgeschichten von Opfern der nationalsozialistischen und kommunistischen Diktaturen zu erzählen. Wir arbeiten mit etablierten Medien zusammen, um diese Geschichten an ein möglichst breites Publikum zu vermitteln. Jährlich führen wir etwa 300 Workshops in Grund- und Sekundarschulen sowie Universitäten durch und arbeiten dabei eng mit Lehrkräften zusammen. Wir erstellen Onlinekampagnen zur Sensibilisierung der Gesellschaft, und verknüpfen historische Themen mit aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen. In unseren Projekten arbeiten wir mit Künstler:innen zusammen und bringen verschiedene künstlerische Formate in die Vermittlung ein. Derzeit wird in der Slowakei jedoch nicht nur unsere Arbeit, sondern auch die unserer Kolleg:innen von andere NGOs, viel zu schwach wahrgenommen und ist ernsthaft bedroht.
Die Situation für den gesamten zivilgesellschaftlichen Sektor im Land ist aktuell sehr angespannt. Es scheint, dass die derzeitige Regierung gemeinnützige Organisationen in „gut“ und „schlecht“ (in ihren Worten: Organisationen mit ausländischen Interessen) einteilt. Seit Oktober wurden mehrere Ausschreibungen für Fördermittel gestrichen, darunter auch einige, für die sich Post Bellum beworben hatte. Im Dezember stoppte die Kulturministerin Martina Šimkovičová ein Fördervorhaben zur Bekämpfung von Desinformation, bei dem die Verträge unterschriftsreif waren. Die Ministerin verkündete dies über ein Video auf der Facebook-Seite des Kulturministeriums und auf dem Desinformations-YouTube-Kanal „TV Slovan“ und kritisierte dort Post Bellum offen. Im Februar brach der Justizminister Boris Susko eine Förderausschreibung für Projekte zum Schutz der Menschenrechte, der Bekämpfung von Antisemitismus und Rassismus ab. Post Bellum reagierte darauf mit einer Petition zusammen mit anderen betroffenen NGOs – erfolgreich, vor einer Woche wurde die Ausschreibung erneut veröffentlicht!
Im Juni verabschiedete das Parlament eine Gesetzesänderung, gegen das Veto des Präsidenten, über die Zukunft eines Fonds zur Kunst-Förderung, einer bisher unabhängigen Institution, bei der Post Bellum regelmäßig erfolgreicher Antragsteller war. Künftig wird hier das Kulturministerium deutlich mehr Mitspracherecht haben: es besteht die konkrete Gefahr, dass nicht nur Post Bellum, sondern auch viele andere NGOs und kulturelle Einrichtungen, keine staatliche Unterstützung erhalten werden.
Parallel dazu erhielten wir im Mai die Nachricht, dass unser Förderantrag beim Internationalen Visegrad Fonds nicht unterstützt wird: wir baten um eine Rückmeldung und wurden darüber informiert, dass ein unabhängiger Ausschuss die Förderung des Projektes zum 80. Jahrestag des Slowakischen Nationalaufstands empfohlen hatte. Die Finanzierung wurde jedoch vom slowakischen Außenministerium verhindert. Jenseits dieser existenziellen Bedrohungen für unsere Arbeit werden wir regelmäßig von Regierungsvertretern in den Medien attackiert und sind Fake News über uns oder unsere Direktorin ausgesetzt.
Trotz allem versuchen wir unsere Projekte und Aktivitäten wie geplant fortzuführen – es ist aber viel schwieriger geworden, die dringend benötigten finanziellen Mittel für unsere Arbeit einzuwerben.
Wir schließen gerade unser zweijähriges Projekt ab, in dem es Exkursionen und Workshops gab und eine Podcast-Reihe und eine Ausstellung entwickelt wurden. Dank der Förderung konnten wir unsere Projektarbeit in Grund- und Oberschulen zur Geschichte des Zweiten Weltkriegs und dem Holocaust fortsetzen. Durch die Arbeit mit Biografien brachten wir den Schüler:innen die historischen Ereignisse näher. Unser Ziel war, ihr kritisches Denken, ihr historisches Wissen und das Bewusstsein für die Bedeutung von Menschen- und Minderheitenrechten zu stärken.
Im Podcast „Geschichten des 20. Jahrhunderts“ haben wir Lebensgeschichten von Überlebenden des Holocaust und des Zweiten Weltkriegs erzählt. Jede Folge wurde über 10.000 Mal angehört. In der Ausstellung „Geschichte bestimmt unsere Zukunft“ erzählten wir die Geschichte des Aufstiegs der Nationalsozialisten: die Deformation der Demokratie und die Verbreitung von Verschwörungen und Desinformationen. Es ist erschreckend, wie viele Verflechtungen zwischen der Vergangenheit und der gibt - in einer sich zunehmend radikalisierenden Slowakei wird dies immer deutlicher.