Maja Sojref, Geschäftsführerin des New Israel Fund Deutschland e.V.

Kommende Woche jährt sich der Überfall der Hamas und anderer bewaffneter palästinensischer Gruppen auf Israel. Der 7. Oktober 2023 stellt den tödlichsten Angriff auf den Staat Israel seit seinem Bestehen dar. Seitdem herrscht Krieg.

Das Netzwerk Israel unterstützt Terrorüberlebende des 7. Oktober, Shoah-Überlebende und ihre Familien, sowie ein jüdisch-arabisches Nothilfezentrum. Der New Israel Fund organisiert auch humanitäre Nothilfe für Zivilist:innen in Gaza. Wie kann jüdisch-arabische Partner:innenschaft in Zeiten des Krieges aussehen?
Jüdisch-arabische Initiativen in Israel wie Standing Together setzen sich seit den Terrorangriffen vom 7. Oktober und dem Beginn des Krieges in Gaza für Empathie mit Zivilist:innen auf beiden Seiten des Konfliktes ein. Ihre Botschaft: Nur eine gemeinsame Perspektive, die die Bedürfnisse sowohl von Israelis als auch Palästinenser:innen berücksichtigt, kann dauerhaft Frieden und Sicherheit bringen. Standing Together haben dazu Versammlungen jüdischer und palästinensischer Bürger:innen Israels organisiert und Kampagnen in sozialen Medien gestartet. Aber sie haben auch praktische Hilfe geleistet– sei es, indem sie in Haifa im Norden Israels Bunker zum Schutz vor Raketenangriffen hergerichtet oder Essenspakete für die Zivilbevölkerung in Gaza gesammelt haben. 
Auch im Süden Israels gibt es viele Beispiele jüdisch-arabischer Partner:innenschaft, wie zum Beispiel das Nothilfezentrum in Rahat, das wir mit Netzwerk Israel unterstützen. Hier erhalten alle Überlebenden des Terrors, egal ob jüdische oder arabische Israelis, Kibbuznikim oder Beduinen, Unterstützung und die Familien der Geiseln kommen zusammen. 

Das Netzwerk Israel besteht seit Sommer 2024 – einer hochdynamischen Zeit, in der auch die Kritik am Vorgehen der israelischen Regierung in diesem Krieg lauter wurde und die Weltgemeinschaft polarisiert. Inwiefern betrifft dies die Arbeit des Netzwerks Israel und NIF?
Ziel des NIF ist es, die demokratische Zivilgesellschaft Israels zu unterstützen, also diejenigen Kräfte, die sich für Demokratie, Menschenrechte, Gleichberechtigung aller Bürger:innen Israels und eine politische Regelung des Konflikts einsetzen. Angesichts existenzieller äußerer und innerer Bedrohungen für den jüdischen Staat ist das wichtiger denn je. Mit dem Netzwerk Israel wollen wir außerdem ein deutsches Netzwerk zur Unterstützung der Zivilbevölkerung in Israel aufbauen. Ziel des Netzwerkes ist es, über die Notlage in der israelischen Zivilbevölkerung, darunter unter Holocaust-Überlebenden, Evakuierten und Terrorüberlebenden aufzuklären und Beispiele jüdisch-arabischer Zusammenarbeit sichtbarer zu machen.

Bedauerlicherweise ernten wir mit einer solchen Botschaft viel Kritik, darunter auch Beleidigungen oder antisemitische Hassrede in sozialen Medien. Ich finde es sehr schade, dass viele Menschen nicht willens oder fähig scheinen, sich mit den Komplexitäten dieses Konflikts auseinanderzusetzen, Ambivalenzen auszuhalten und Empathie mit dem Leid der Zivilbevölkerung auf beiden Seiten zu zeigen. 

Wenn Sie auf das letzte Jahr zurückblicken: Welche Stimmen und Perspektiven haben Ihnen in den Diskussionen hierzulande gefehlt?
Im deutschen Diskurs über Israel, Palästina und den Nahostkonflikt kommen Protagonist:innen aus der demokratischen Zivilgesellschaft vor Ort nur selten zu Wort. Dabei können diese Stimmen helfen, die Komplexitäten der Gesellschaften in der Region sichtbarer zu machen und dringend benötigte multiperspektivische Gesprächsräume zu eröffnen. Darum arbeiten wir im Bildungsprogramm des New Israel Fund Deutschland unter anderem mit Statements und Interviews von Standing Together, um in Berliner Schulen, in den Klassen aber auch in der Elternschaft, die Polarisierung zu durchbrechen und ihr Perspektiven von Gemeinsamkeit und demokratischem Pluralismus entgegenzusetzen. Denn schließlich geht es immer auch um die Frage, wie wir in Deutschland in einer vielfältigen Gesellschaft zusammenleben wollen. Und wie Standing Together-Mitgründer Alon-Lee Green im Dezember 2023 in Berlin sagte: „Wenn wir in Israel es schaffen, in dieser Lage als jüdische und palästinensische Israelis zusammenzustehen – warum solltet ihr es hier in Deutschland nicht schaffen?“

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