Junior Barros, Sirwan Ali, Alina Buchberger, Nadine Jessen (v.l.n.r.), Projektteam „Zwangsarbeit und Widerstand“, Kampnagel

Das Projekt „Zwangsarbeit und Widerstand“ möchte die verflochtene Geschichte des Kulturortes Kampnagel sichtbarmachen: Wo haben Sie ihre Reise in die Vergangenheit begonnen? Auf welche Geschichten sind Sie gestoßen?
Als Internationales Zentrum für Schönere Künste ist es uns wichtig, dass Künstler:innen und Besucher:innen wissen, welche Geschichte von Gewalt dieses ehemalige Fabrik-Gelände in sich trägt – auch wenn oder gerade weil es seit nunmehr 40 Jahren als Kunstort bespielt wird. Wir sehen die Aufarbeitung der Geschichte von Zwangsarbeiter:innen auf Kampnagel als unseren antifaschistischen Auftrag an. Das Thema ist in Deutschland absichtlich verdrängt worden, weil es so viele Unternehmen betrifft und so wenig zurückgezahlt wurde. Um die Reise in diese Geschichte zu beginnen, haben wir uns Unterstützung gesucht, bei Projektpartnern wie dem Museum für Arbeit und der Geschichtswerkstatt Barmbek, bei unserem künstlerischen Rechercheteam Simone Rozalija Thiele und Sophia Hussain, und eben auch bei unserem Publikum, unserer Nachbarschaft. Es wurde jeder einzelne uns bekannte Name sorgfältig recherchiert, auf der Suche nach den Menschen, die hinter den von den Nazis dokumentierten Listen stehen. Wir haben viele Geschichten kennengelernt, die von Sabotage und Widerstand erzählen, von Lagerbedingungen, von der Fabrikproduktion, der spezifischen Situation weiblicher oder sowjetischer Zwangsarbeiter:innen, von Liebe und Solidarität. Aber wir haben, verglichen mit allem, was das Leben dieser über 500 Menschen war, auch nur wenig erfahren können. Denn ein Mittel der Vernichtung war für die Nazis auch die Zerstörung der Spuren dieser Leben – diese Lücken haben uns im Projekt die ganze Zeit begleitet und werden niemals geschlossen.

Alle zwei Monate fanden im Projekt offene Jours-Fixes statt, bei denen die aktuellen Wissensstände des künstlerischen Rechercheteams vorgestellt wurden und Raum war für Anregungen, Fragen und Vernetzung aus der Hamburger Stadtgesellschaft: Welche Erfahrungen und Erlebnisse haben Sie hier gemacht?
Diese offenen Treffen waren sehr gut besucht und ein wichtiger Teil unseres Prozesses. Es kamen Menschen, die in anderen Projekten mit dem Thema Zwangsarbeit zu tun haben, aber auch Menschen mit persönlichen Bezügen. Aktivist:innen, Expert:innen, Kampnagel-Publikum. Manche Menschen kamen regelmäßig zu fast allen Treffen und kennen das Projekt somit wirklich gut. Sie boten uns ihre ehrenamtliche Unterstützung an und teilten ihr Wissen. Es gab auch Personen, die hier einen Raum gefunden haben, über die Täterschaft in der eigenen Familie zu sprechen, die Zwangsarbeit im Familienunternehmen zu adressieren. Das ist eigentlich etwas, das wir uns wünschen würden: Dass mehr Unternehmen, unter ihnen auch Kulturinstitutionen, durch das Projekt „Zwangsarbeit und Widerstand“ den Anstoß erhalten, die eigene Geschichte aufzuarbeiten.

Was erwartet die Besucher:innen am 4. Oktober beim Projektlaunch?
Die Recherche und künstlerische Arbeit der letzten zwei Jahre mündet in einer Augmented-Reality-App rund um das Kampnagel-Gebäude: ein Rundgang, auf dem die Geschichte eigenständig und multimedial erkundet werden kann. Außerdem werden Besucher:innen Hintergrundtexte zum Thema auf einer fünfsprachigen Homepage lesen können, in die wir auch eine Datenbank mit den Namen der ehemaligen Zwangsarbeiter:innen integrieren werden. So gibt es die Möglichkeit, Informationen zu diesen Personen zu suchen. Beides soll pünktlich am 4. Oktober öffentlich verfügbar sein. Wir hängen außerdem an die Fassade vor dem Haupteingang eine Wandzeitung, die die Aufmerksamkeit des Publikums auf die App und die Webseite ziehen soll, und Informationen zu Zwangsarbeit vermittelt. Zum Projektlaunch veranstalten wir am 4. Oktober eine Podiumsdiskussion, die Möglichkeiten digitaler Erinnerungskultur thematisiert. Im Anschluss daran veranstalten wir eine feierliche Gala zur Verleihung des KALEIDOSKOP-Kunstpreises! Hier erhalten zehn marginalisierte Hamburger Künstler:innen Preise, die Namen von ehemaligen Zwangsarbeitenden und Widerständigen tragen. Wir möchten, dass die Namen erinnert werden, und diese Geschichte nicht in Vergessenheit gerät!

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