In der Fachwelt wurde dieser Wahlkampf gar nicht als Wahl bezeichnet, sondern als „Wahl-Sonderoperation“ – in Anlehnung an die „Militärische Sonderoperation“, wie die russische Führung den Krieg in der Ukraine nennt. Lukaschenko führte seine eigene Wiederernennung unter völliger Missachtung des politischen Wettbewerbs, der unabhängigen Beobachtung und des Wahlkampfes für alle Vertreter:innen alternativer Kandidat:innen durch. Das Spektakel von vier Störkandidaten unter der Leitung des ständigen Leiters der belarussischen Machtvertikale kann nicht als Wahl bezeichnet werden. Der Staat übt auf die Zivilgesellschaft einen beachtlichen Grad von Terror aus und ich sehe keine Anzeichen für eine Entspannung. Die jüngsten Begnadigungen - trotz der Freude für die aus den Gefängnissen freigelassenen Menschen - finden vor dem Hintergrund von Massenverhaftungen statt. Man kann dadurch erkennen, dass der Staat versucht, den Anschein einer Liberalisierung oder von „Tauwetter“ zu erwecken, aber tatsächlich sorgt er nur für ein gutes Image.
Angesichts des ständigen Terrors gegen die Zivilgesellschaft sind wir gezwungen, auf immer kompliziertere Methoden zur Sicherung von Kontakten und Aktivitäten zurückzugreifen. Intern versucht der Staat, die volle Kontrolle über alle öffentlichen Aktivitäten auszuüben. Und dies ist ihm auch gelungen. Selbst harmlose Aktivitäten, die Menschen zusammenbringen sollen, ziehen die Aufmerksamkeit der Sicherheitsdienste auf sich. Der Teil der Gesellschaft, der dem Staat nicht bedingungslos folgt, geht in den Untergrund und schränkt das Spektrum der zulässigen Aktivitäten ein. Trotz der staatlichen Terrorakte gegen die Zivilgesellschaft suchen Aktivist:innen jedoch ständig nach Wegen, unter diesen ungünstigen Bedingungen zu arbeiten. Ein sehr wichtiger Faktor in dieser Situation ist die Arbeit der Exil-Organisationen, welche die Stimme und Vertreter der unterdrückten Zivilgesellschaft im Land sind.
In letzter Zeit mussten wir große Anstrengungen unternehmen, um die Kommunikationskanäle aufrechtzuerhalten und Menschen und Initiativen in Belarus zu unterstützen. Dies ist einer der Schwerpunkte unserer Arbeit. Wir helfen auch bei der Wiedereingliederung derjenigen, die gezwungen waren, das Land zu verlassen, insbesondere unter der Gruppe der freigelassenen politischen Gefangenen. Wir haben große Anstrengungen unternommen, um denjenigen zu helfen, die vom Staat beim Fluchtversuch aus dem Land gefasst und inhaftiert wurden. Wir unterstützen Initiativen, die weiterhin im öffentlichen Interesse handeln, sowohl intern als auch extern. Wir helfen unseren Veteranen des russisch-ukrainischen Krieges. Sie beteiligen sich inzwischen nicht mehr aktiv an den Kämpfen und benötigen als Kriegsopfer Hilfe und Behandlung. Wir brauchen Hilfe auf allen Ebenen: Dabei, den Opfern des staatlichen Terrors legale Aufenthaltstitel für die EU-Länder zu beschaffen, bei der weiteren Unterstützung der Strukturen der Zivilgesellschaft sowie der humanitären Hilfe für diejenigen, die Opfer des diktatorischen Regimes von Lukaschenko geworden sind.
Sie möchten mehr über Zivilgesellschaften unter Druck erfahren? Jetzt das Interview mit Aleh Razhkou, Vorsitzender der belarussischen NGO „Journalists for Tolerance“ (J4T), lesen.