Von der Deutschen Bank bis zu Borussia Dortmund

Im Projekt „Informiert, couragiert, engagiert! Eine gemeinsame Initiative gegen Antisemitismus“ lernen Teilnehmende aus Unternehmen in Deutschland in einem Blended Learning-Angebot, wie sie Antisemitismus erkennen und sich ihm entgegenstellen – am Arbeitsplatz und darüber hinaus. Nach der Weiterbildung bei Borussia Dortmund haben wir mit der Dozentin Dr. Burglinde Hagert und der Teilnehmerin Amelie Gorden gesprochen. Beim BVB verantwortet Amelie Gorden in der Abteilung Corporate Responsibility das Anti Discrimination-Programm.

Burglinde, du bist seit vielen Jahren als Trainerin für diskriminierungskritische politische Bildung unterwegs. Was ist das Besondere an der Arbeit mit Erwachsenen?

Burglinde: Einerseits finde ich, dass die Arbeit mit Erwachsenen gar nicht so anders ist als mit Jugendlichen. Denn antisemitische Vorstellungen hat jede:r im Laufe der eigenen Sozialisierung aufgesogen. Andererseits ist es bei Erwachsenen häufiger so, dass sie glauben, schon viel zu wissen, und deswegen manchmal nicht mehr so offen sind. Das kann hinderlich sein. Erwachsene haben zudem ein ausgeprägteres Gefühl für so etwas wie soziale Erwünschtheit oder Tabus und äußern dementsprechend manchmal nicht offen, wassie denken. Auch das kann die pädagogische Auseinandersetzung mit dem Thema erschweren.

Gibt es bei der antisemitismuskritischen Arbeit im Unternehmenskontext Besonderheiten?

Burglinde: Auf jeden Fall. Unternehmen verstehen sich in der Regel nicht als eine Institution, die sich mit dem Thema Antisemitismus beschäftigen sollte. Und wenn Unternehmen ein solches Angebot wahrnehmen, geht es immer auch um eine Auseinandersetzung mit der eigenen Unternehmenskultur. 

Man könnte sich fragen, was der BVB mit Antisemitismus zu tun hat. Amelie, warum sollten sich Unternehmen aus deiner Perspektive mit Antisemitismus auseinandersetzen?

Amelie: Der BVB engagiert sich mittlerweile seit über zehn Jahren aktiv in der Arbeit gegen Diskriminierung. Wir setzen Erinnerungsprojekte zum Holocaust und Präventionsprojekte gegen Antisemitismus um. Seit dem 7. Oktober 2023 spüren auch wir den wieder erstarkten Antisemitismus. Als Teil der Zivilgesellschaft können wir uns dem nicht entziehen und müssen Verantwortung übernehmen – mit einer klaren Haltung gegen Antisemitismus und auch jede andere Form der Diskriminierung. Als Fußballverein sind wir ein gesellschaftlicher Akteur mit großer Strahlkraft, der unterschiedlichste Menschengruppen erreichen kann – auch diejenigen, zu denen andere Akteur:innen vielleicht gar keinen Zugang mehr haben. Nur wenn wir diese Werte auch unternehmensintern vorleben, schaffen wir es, auch auf unsere wichtigen Anspruchsgruppen wie Fans und deren Umfeld einzuwirken. Daher ist die Schulung unserer Mitarbeitenden eine logische Fortführung unseres Engagements.

Burglinde: Ich finde es super, dass der BVB sich dieses Themas angenommen hat. Denn es ist eben tatsächlich so, dass Antisemitismus nicht auf bestimmte gesellschaftliche Teilbereiche beschränkt ist. 

Lasst uns über die Struktur des Angebots „Informiert, couragiert, engagiert!“ sprechen. Was ist das Besondere an dem Blended-Learning- Format, einer Kombination von Präsenz- und Online-Lehre?

Burglinde: Für mich als Trainerin war das Blended-Learning-Format etwas Neues und ich finde, es hat ziemlich gut funktioniert. Zum einen hatten wir durch die vier Workshops viel Zeit mit den Teilnehmenden. Das ist toll, denn Antisemitismus ist ein komplexes und emotional belastetes Phänomen. Der Zeitumfang ermöglicht es, eine Beziehung aufzubauen, Sprechhemmungen abzubauen und einen vertrauensvollen Rahmen zu schaffen. Zum anderen ist es hilfreich, dass zwischen den Workshops auf der Lernplattform bereits viel Wissen durch Videos, interaktive Illustrationen, Texte und Gruppenarbeiten vermittelt wird. Das gibt uns als Trainer:innen die Möglichkeit, sich in den Workshops stärker auf die Selbstreflexion und den Austausch zu fokussieren. Wir können viele Stimmen zu Wort kommen lassen und anhand konkreter Fallbeispiele gemeinsam besprechen, was antisemitisch ist und wie man darauf reagieren kann.

Amelie: Was ich an dieser Fortbildung besonders spannend fand, war der Austausch mit meinen Kolleg:innen zum Thema Antisemitismus. Das kommt im Tagesgeschäft einfach zu kurz. Außerdem hat das Blended-Learning-Konzept die höchstmögliche Flexibilität geboten. Man konnte sich in den Selbstlernphasen vorbereitend mit den Inhalten auseinandersetzen und diese anschließend in den Workshops gemeinsam diskutieren.

Was hat dich persönlich motiviert teilzunehmen, Amelie?

Amelie: Die Auseinandersetzung mit Antisemitismus beginnt immer bei einem selbst. Obwohl ich schon einige Erfahrungen mit dem Thema gemacht habe, ist es mir nach wie vor sehr wichtig, mich persönlich stetig weiterzuentwickeln. Antisemitismus ist sehr komplex und um ihn in all seinen Formen zu erkennen, zu verstehen und darauf reagieren zu können, braucht es eine kontinuierliche Beschäftigung mit dem Thema.

Mit etwas zeitlichem Abstand betrachtet: Was hat euch in der Fortbildung besonders nachhaltig beeindruckt?

Amelie: Dadurch, dass ich die Antidiskriminierungsarbeit beim BVB mitverantworte, hatte ich mich bereits viel mit Antisemitismus auseinandergesetzt. Der größte Aha- Moment war, dass ich, trotz diverser Fortbildungen, immer noch so viel Neues erfahren habe. Ich persönlich hatte mich zum Beispiel vorher nie vertieft mit dem Antisemitismus im linken Spektrum beschäftigt.

Burglinde: Obwohl ich schon viele Jahre in diesem Bereich arbeite und mich wissenschaftlich mit Antisemitismus beschäftigt habe, bin auch ich immer wieder erstaunt, was für neue Varianten von Antisemitismus auftreten. Antisemitismus ist ein sehr anpassungsfähiges Biest. 

Amelie, würdest du anderen Unternehmen eine Teilnahme an dem Angebot empfehlen?

Amelie: Ein ganz klares Ja. Ich kann es jedem Unternehmen nur empfehlen, teilzunehmen. Wir alle tragen gesellschaftliche Verantwortung und Arbeitgeber:innen haben einen großen Wirkradius, da die Arbeit heutzutage bei vielen Menschen sehr viel Raum einnimmt. Daher ist der Arbeitsplatz für mich der ideale Ort für ein solches Angebot.

Für die Mitarbeitenden ist es eine große Chance, sich persönlich weiterzubilden. Gerade auch zu Themenbereichen, die mit dem unmittelbaren eigenen Tätigkeitsfeld auf den ersten Blick nichts zu tun haben. Aber Antisemitismus betrifft uns alle: Es bestehen weiterhin alte Denkmuster in unserer Gesellschaft, die Antisemitismus auch heute noch reproduzieren. Ich glaube, das ist vielen Menschen nicht bewusst. Daher ist es hilfreich und wichtig, im Erwachsenenalter zu reflektieren und zu verstehen, woher antisemitische Bilder und Denkmuster kommen, und sich diese wortwörtlich vor Augen zu führen. Die Fortbildung hat außerdem Handlungssicherheit für den Umgang mit konkreten antisemitischen Situationen geschaffen, sei es im digitalen Raum oder im alltäglichen Leben. Deswegen finde ich die Fortbildung rückblickend so gut.

Burglinde: Ich bin auch der Meinung, dass sich Unternehmen mit Antisemitismus auseinandersetzen sollten. Und ich glaube, dass vieles, was die Teilnehmenden im Kurs „Informiert, couragiert, engagiert!“ lernen, auch für andere Phänomene gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit adaptierbar oder generell für das Zusammenleben gewinnbringend ist.

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Das Gespräch führte Johanna Sokoließ.