Ein virtuelles Denkmal für die polnischen Opfer des Nationalsozialismus

Ein virtuelles Denkmal für die polnischen Opfer des Nationalsozialismus

Der Förderschwerpunkt Europa reflektiert und dokumentiert die europäische Dimension des NS-Unrechts. Länderübergreifende Projektverbünde tragen durch engagierte historisch-politische Bildungsarbeit zur Schaffung eines gemeinsamen europäischen Gedächtnisses bei.
Das polnisch-deutsche Kooperationsprojekt „Schicksale aus Polen 1939–1945. Erinnern lokal & digital“ des Deutschen Polen-Instituts und der Stiftung „Polnisch-Deutsche Aussöhnung“ schuf eine umfassende dreisprachige Datenbank. Sie verknüpft alle verfügbaren Informationen zu aus Polen stammenden Opfern des NS-Regimes.

Irena Bobowska

Alles wird gut.
Der Tag der Freiheit kommt.
Die Gefängnismauer verschwindet,
der Schatten der Festung auch.
Die Freude wird einziehen,
im Lachen heller Träume.
Alles wird gut,
der Tag der Freiheit kommt.
Alles wird gut, wir kehren heim.
Irena Bobowska
1941 aus dem Gefängnis Fort VII in Posen

Irena Bobowska war eine junge und begabte polnische Dichterin. Seit frühester Jugend gelähmt, konnte sie keinen Beruf ausüben und doch schloss sie sich nach der Besetzung Polens durch die Wehrmacht der polnischen Widerstandsorganisation „Wojskowa Organizacja Ziem Zachodnich“ an und kämpfte gegen das NS-Regime. Sie gründete das illegale Untergrundmagazin „Pobudka“ (Weckruf) mit und transportierte geheime Dokumente aus der Funküberwachung versteckt in ihrem Rollstuhl.

Irena Bobowska wurde im August 1941 festgenommen und am 26. September 1942 in Berlin-Plötzensee ermordet – der Tag der ersehnten Freiheit kam nie.

Ein Schicksal von Millionen, von denen ein deutsch-polnisches Kooperationsprojekt jetzt erzählt.

Am 1. September 2024 jährt sich zum 85. Mal der deutsche Überfall auf Polen: der Beginn einer Schreckensherrschaft voller Willkür, Terror und Gewalt für die Bewohner:innen. Dem rassistisch motivierten Vernichtungskrieg gegen die polnische Bevölkerung fiel mehr als ein Fünftel der Gesamtbevölkerung, über fünf Millionen Menschen, zum Opfer – darunter mehr als drei Millionen polnische Jüdinnen:Juden und Zehntausende Sinti:ze und Rom:nja.

Ihre Schicksale haben keinen festen Platz in der deutschen Erinnerungskultur. Um das zu ändern, erarbeiteten das Deutsche Polen-Institut in Darmstadt und die Stiftung „Polnisch-Deutsche Aussöhnung“ in Warschau in einem zweijährigen Kooperationsprojekt eine umfassende Datenbank mit allen verfügbaren Informationen zu aus Polen stammenden Opfern des NS-Regimes. Die Online-Plattform, die auf Deutsch, Englisch und Polnisch angeboten wird, trägt als virtuelle Gedenkstätte und umfangreiche Informationsquelle dazu bei, das Wissen über das Schicksal von Millionen polnischen Bürger:innen während des Zweiten Weltkriegs zu bündeln und zu systematisieren.

Die Website vermittelt historisches Wissen zu zahlreichen Themenkomplexen, unter anderem zu Kriegsgefangenschaft, Zwangsarbeit, Besatzungsalltag und der Germanisierung polnischer Kinder. Eintauchend in das Thema, erfahren die Nutzer:innen viele Informationen über das Schicksal der bis zu 200.000 zwangsgermanisierten polnischen Kinder. Historische Fakten verbinden sich mit persönlichen Schilderungen von Betroffenen wie Henryk Wojciechowski, der als zehnjähriger Junge 1941 aus einem Kinderheim in ein Germanisierungslager deportiert wurde.

Ein Kapitel zum Besatzungsalltag erzählt, wie am 1. September 1939 ein neuer Abschnitt im Leben der polnischen Bevölkerung begann. Der Krieg und die fünfjährige Besatzung veränderten den Alltag eines jeden Menschen. Viele Mutige im Land leisteten Widerstand und beteiligten sich an der wachsenden Untergrundbewegung.
Sie organisierten etwa geheimen Schulunterricht oder gaben Untergrundzeitungen heraus – so wie die Dichterin Irena Bobowska, deren Geschichte hier ebenfalls erzählt wird.

In der Datenbank sind die Namen und Biografien von über drei Millionen polnischen Opfern auffindbar. Ihre Schicksale lassen sich nach persönlichen Daten wie Namen und Geburtsdatum filtern, aber auch die gezielte Suche nach Opfern von etwa Zwangsarbeit, Konzentrationslagern oder Hinrichtungen ist möglich.

Hier lassen sich auch die Biografien des zwangsgermanisierten polnischen Jungen Henryk Wojciechowski und der Poetin und Widerstandskämpferin Irena Bobowska wiederfinden – neben Millionen weiteren, bislang unerzählten Geschichten.

Die Daten stammen aus zahlreichen polnischen und deutschen Archiven, etwa dem polnischen Staatsarchiv und den Arolsen Archives, und werden im Projekt erstmals systematisiert zusammengeführt.

Um das Erinnern an das Kapitel 1939–1945 in der deutsch-polnischen Geschichte lebendig zu halten, arbeitet das Projekt zusätzlich mit lokalen erinnerungskulturellen Geschichtsinitiativen aus ganz Deutschland zusammen, die sich mit der Verfolgung, Entrechtung und Ermordung von polnischen Bürger:innen beschäftigen.

Die sieben ausgewählten Initiativen haben ganz unterschiedliche Ansätze: Von der biografischen Arbeit mit Schüler:innen zu polnischen Zwangsarbeiter:innen in der Region über Recherchen von Film- und Musikstudierenden zu noch namenlosen Opfern – im Mittelpunkt stehen immer die Lebensgeschichten von Menschen.

In Berlin organisieren die Vereine Ambasada Polek und Oświata Schulworkshops über das Schicksal polnischer Frauen während des Zweiten Weltkriegs – basierend auch auf der Biografie der Widerstandskämpferin Irena Bobowska.

Alle Projekte einen ihr partizipativer Ansatz und das Entwickeln digitaler Bildungsformate und -materialien, die das Wissen über die Schicksale und das Ausmaß der NS-Verbrechen in Polen stärker in einer gemeinsamen deutsch-polnischen Erinnerungskultur verankern.

Schicksale, wie das von Irena Bobowska, deren Mut und Widerstandswille noch heute zutiefst berühren und deren Geschichte erzählt werden muss.

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Autorin: Sophie Ziegler, Stiftung EVZ