Dr. Elke Gryglewski, Stiftung Niedersächsische Gedenkstätten

Frau Gryglewski, wie würden Sie folgenden Satz vervollständigen: „Recht ist, ...“?

Recht ist – oder sollte sein – , was unsere Demokratie stärkt und das gleichberechtigte Miteinander von Menschen in einer vielfältigen Gesellschaft fördert. Während des Nationalsozialismus war beides weder gegeben noch gewollt. Damals sollte Recht nur den Interessen des Staates bzw. des NS-Regimes dienen, war durchweg ideologisch begründet und wurde mit dem Ziel geschrieben, ausgeübt und interpretiert als nicht dazugehörig definierte Menschen zu verfolgen und insbesondere Jüdinnen und Juden oder Sinti:zze und Rom:nja zu ermorden. Aus der damaligen Erfahrung heraus legt der Staat selbst mit seinen Regierungen heute Wert darauf, Strategien zu unterstützen, die eine solche Politik verhindern und Rechtsprechung unabhängig von politischer Einflussnahme sein lassen.

In ihrem Projekt „Recht ist, was dem Staat nützt Historische Bildung als Voraussetzung demokratischen Handelns in Niedersachsen“ adressieren Sie systemrelevante Berufsgruppen. Was hat die Geschichte des Nationalsozialismus mit der Arbeit eines Mitarbeitenden in der Verwaltung oder Polizei heute zu tun?

Wir wissen heute, dass es 1945 nicht die lange Zeit beschworene „Stunde null“ gegeben hat. Dass es, im Gegenteil, sehr viele personelle Kontinuitäten gab, die dann natürlich auch strukturelle und ideologische Kontinuitäten mit sich gebracht haben. Manche Kontinuitätslinien, zum Beispiel Abläufe oder Strukturen in der Verwaltung haben ihre Ursprünge schon in der Zeit vor dem Nationalsozialismus. Gerade bei diesen Berufsgruppen ist wichtig, dass aus der Institution selbst heraus hinterfragt wird, ob organisatorische und institutionelle Formen demokratische Überzeugungen behindern oder sogar konterkarieren. Außerdem zeigt schon der Begriff „systemrelevant“, dass es Berufsgruppen gibt, die aufgrund ihres Tätigkeitsfeldes maßgeblich zur demokratischen Verfasstheit und dem demokratischen Handeln in der Gesellschaft beitragen.

Wie unterscheidet sich Ihr Vorhaben von anderen Projekten der historisch-politischen Bildungsarbeit?

Uns ist wichtig, dass wir hier keine Jugendlichen als Zielgruppe gewählt haben, sondern in einen Dialog mit Erwachsenen treten, die in Bezug auf ihr Berufsfeld Expert:innen sind. Wir möchten mit unserer Kompetenz zur Geschichte des Nationalsozialismus Prozesse anregen, bei der Teilnehmende auf der Grundlage der von uns genutzten historischen Quellen Rückschlüsse für die Gegenwart ziehen. Über die Nutzung historischer Quellen hinaus werden wir mit Elementen aus der Anti-Bias-Arbeit und der Begegnungspädagogik arbeiten, und möchten so die Teilnehmende für Antisemitismus und Antiziganismus sensibilisieren.