TRACING REMEMBRANCE: Interview

Im Serious Game TRACING REMEMBRANCE, das im Rahmen des dreiteiligen Projekts MIRROR // MIRROR am Theater der Jungen Welt entstanden ist, arbeiten Spielende für das erdachte Unternehmen vibezig und bewegen sich im Leipziger Stadtraum – nach und nach werden sie dabei mehr mit Orten der Zwangsarbeit konfrontiert. Die Stiftung EVZ traf den digitalen Dramaturg Florian Heller und Games-Designer Sebastian Quack zum Interview.

Sebastian Quack und Florian Heller, was erleben Spieler:innen von TRACING REMEMBRANCE?

SQ: Im Spiel TRACING REMEMBRANCE tritt man in ein Arbeitsverhältnis ein – mit dem neuartigen Start-Up vibezig. Diese fiktionale Firma hat eine Technologie entwickelt, mit der man das Zukunftspotential von Orten scannen kann – über das Handy und vor Ort über den eignen Körper. Überall in der Stadt sind Werbeposter zu finden und man kann sich die App herunterladen. Dann beginnt man für vibezig zu arbeiten, kommt so Schritt für Schritt mit den Kolleginnen und Kollegen in Kontakt und arbeitet sich in dem Unternehmen vor. Im Verlauf der Arbeitstätigkeit gibt es Störfälle oder Nebeneffekte, die im Spiel glitches heißen und in denen Informationen, Eindrücke oder Erinnerungen – so genau weiß man das nicht – aus der NS-Zeit und insbesondere über NS-Zwangsarbeit in das System einfließen. Im Spiel geht es dann darum, wie damit umgegangen werden kann: Was macht man mit dieser Erfahrung? Wie bewertet man sie? Was bedeutet das alles? 

Das Konzept des Pervasive Gamings verwischt die Grenzen von Vergangenheit und Zukunft, Realität und Fiktion. Wo waren eure Grenzen – zum Beispiel auch in ethischer Hinsicht – bei der Spielentwicklung?

FH: Vergangenheit und Gegenwart, Realität und Fiktion – das beschreibt es eigentlich ziemlich genau. Das Historische muss für mich ein Dokument, das Gegenwärtige kann auch Fiktion und Narration sein – das ist meine Grenze. Wir können eine Geschichte über ein Start-Up und Figuren erfinden, die mit uns interagieren. Was wir nicht erfinden werden, ist etwas, was auf der Zeitebene des Nationalsozialismus spielt. Dort dichten wir nichts dazu und schreiben nichts um. Wir nehmen die Dokumente und übersetzen sie 1:1 als Quellen ins Spiel. Das war für mich die maßgeblichste ethische Grenze. Nach der Folge von ZDF Magazine Royale über den Instagram-Account @ichbinsophiescholl ist viel geredet worden. Dort ging es genau um diesen Punkt: Die Historiker:innen-Problematik des Ganzen war, dass für den Account um das historische Material herum Sachen hinzugedichtet wurden. Das ist für mich ein absolutes No-Go in so einem Projekt – plus das Einfinden in die Person und das Antworten aus ihrer Perspektive.

SQ: Ja, das ist bei Spielen besonders relevant, weil sie dazu einladen, sich sehr stark zu identifizieren oder eine Rolle einzunehmen. Sie geben einem vor, etwas am Handlungsverlauf ändern zu können – also quasi am Gang der Geschichte. Das ist eine Art von Modulierung, bei der die Gefahr besteht, dass es so scheint, als hätten die Geschehnisse damals einen anderen Ausgang nehmen können. Das sind total interessante Fragen für eine Diskussion. Aber es ist sehr anspruchsvoll, darüber Spiele zu machen. Aufgrund unserer jüngeren Zielgruppe war es für uns wichtig, dass es nicht so wirkt, als wäre es einfach, so ein Spiel zu machen. Wir haben die Bereiche gesucht, in denen man sich leicht locker machen kann, und hoffen, dass diese Art von Lockerungen es erlauben, auch ein bisschen offener über die Vergangenheit nachzudenken – ohne dafür vereinfachen zu müssen. Eine starke pädagogische Vereinfachung wollten wir vermeiden.

FH: Es gibt 100.000 Spiele, in denen man ein Attentat auf Hitler planen und den Lauf der Geschichte verändern kann. Die Aufgabe, die wir für diesen Kontext haben, ist einfach eine andere.

Ihr habt als Theater, als Gedenkstätte und als Game Designer zusammengearbeitet. Gab es an diesen Schnittmengen Reibungen?

FH: Es gibt bei solchen Projekten immer wieder Reibungen. Die entstehen aus der Struktur von Theaterhäusern und dem Produktionsprozess, wie ihn eine Theaterinszenierung hat, und den Anforderungen, die ein solches Projekt hat. In diesem Fall ging es relativ glatt. Es gibt andere Projekte, wo tendenziell öfter erklärt und kommuniziert werden muss, was es eigentlich ist, was man da macht. Das ist nichts, womit Leute, die am Theater arbeiten, notwendigerweise schon einmal etwas zu tun hatten – und das kann man niemandem übel nehmen. Sie wissen genau, was passiert, wenn eine Bühneninszenierung gemacht wird. Dafür sind sie da und das ist ihre Expertise. Daher muss man manchmal die Ersterfahrung ein bisschen managen. In der Arbeit zwischen uns war das überhaupt nicht so. Das liegt auch daran, dass wir keine Agentur dazu geholt haben, die seit vielen Jahren ausschließlich kommerzielles Gamedesign macht. Sebastian ist selbst Künstler und hat einen extrem künstlerischen Blick auf Spielmechaniken. Für mich als Theaterdramaturg ist er eine Person, mit der man sehr gut arbeiten kann, weil das Vokabular ein sehr ähnliches ist.

SQ: Wirklich Glück hatten wir bei der Arbeit mit der Gedenkstätte für Zwangsarbeit Leipzig – das war wirklich sehr angenehm. Es gab eine große Offenheit, bei diesem unkonventionellen Zugriff mitzugehen und es gab keine Bedenken, dass man es darüber verharmlosen würde. Da haben wir uns zunächst mehr Sorgen gemacht. Besonders Josephine Ulbricht hat hier immer das Positive gesucht und gesagt: „Das ist so super für uns!“ Die Gedenkstätte hat immer genug Selbstbewusstsein gehabt, dass ihre eigenen Mittel den seriösen Zugriff ermöglichen und dass es ein Gewinn ist, einen lockereren Einstieg zu finden. Das ist nicht unbedingt selbstverständlich. Ich hätte mir vorstellen können, dass es für andere zu popkulturell oder lustig gewirkt hätte – das Spiel ist auch oft ein bisschen lustig. Aber man darf in so einem Spiel auch mal lachen oder nicht? Es ist ja eines von drei Modulen: Theaterstück, Spiel und Performance. 

Gibt es auch inhaltliche Zusammenhänge? Erzählt ihr miteinander weiter oder stehen alle Module für sich?

FH: Es gibt eine klare Verbindungslinie zwischen dem zweiten, unserem Game, und dem dritten Teil, an dem jetzt gerade mit Hochdruck gearbeitet wird – die Performance THE FUTURE IS YOURS. Beide Teile verhandeln jeweils Thematiken ausgehend von dem Phänomen NS-Zwangsarbeit. Den größeren Bogen haben wir im Mai mit dem ersten Projekt ON THE OTHER SIDE schon geschlagen. Da ist der Zusammenhang eher ein formaler, weil es sich auch um ein spielerisches Setup handelt. Es ist ein theatrales Planspiel in einem Saal, befasst sich aber in diesem Fall mit einem extrem digitalen Thema: mit der Radikalisierung im Netz. Für uns besteht natürlich zwischen Erinnern und Verantwortung übernehmen auf der einen und den antidemokratischen Tendenzen, mit denen wir heute konfrontiert sind, auf der anderen Seite ein klarer Zusammenhang. Hier schlagen diese Teile also einen Bogen, der zweite und der dritte Teil stehen sich dagegen inhaltlich näher. Da ist die Form allerdings eine komplett andere: Das Projekt ist partizipativ, wird also mit einer Gruppe von Nicht-Schauspieler:innen entwickelt, und ist weniger ein richtiges Theaterstück als eine Art performative Installation.

 

Ein Interview der Stiftung EVZ mit:

Florian Heller: Digitaler Dramaturg, Theater der jungen Welt
Sebastian Quack: Künstler, Games-Designer und Kurator

Das Spiel

Ideale Orte für das Arbeiten und Leben der Zukunft per telepathischem Vibe-Scan zu finden – das ist das Konzept des neuen Leipziger Startup-Unternehmens vibezig. Wie aber umgehen mit Erinnerungen, die an Orten auftauchen, die man zuvor für historisch unbelastet gehalten hatte?

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Das Magazin

Im Magazin Lost History zum Projekt MIRROR // MIRROR geht es um das Ausmaß und die Spuren von NS-Zwangsarbeit in Leipzig – mit Impulsen für neue Formen des Erinnerns.

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Das Projekt

In einer Zeit, in der es immer noch entscheidend bleibt, sich klar gegen Vergessen und Relativierung zu positionieren, erarbeitet das Theater der Jungen Welt Leipzig (TDJW) über ein Jahr das dreiteilige Projekt MIRROR // MIRROR.

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