Überlebende nationalsozialistischer Verfolgung

Jene Menschen, die die Verfolgung durch die Nationalsozialisten überlebt haben, sind heute hochbetagt. Viele von ihnen sind alleinstehend, verfügen nur über geringe finanzielle Mittel und sind auf fremde Hilfe angewiesen. Sie leiden bis heute körperlich und seelisch unter ihren traumatischen Erlebnissen. Die Stiftung Erinnerung Verantwortung Zukunft (EVZ) engagiert sich seit ihrer Gründung dafür, dass Überlebende nationalsozialistischer Verfolgung ein besseres Leben haben und in Würde altern können.

Wie viele von den Nationalsozialisten verfolgte und in Konzentrations- und Vernichtungslagern eingesperrte Menschen heute noch leben, weiß niemand mit Sicherheit. Länderübergreifende vergleichbare Untersuchungen oder Statistiken fehlen bislang.

Wer sind die Überlebenden?

Jüdinnen:Juden, Sinti:ze und Rom:nja in Deutschland und in den von Deutschland besetzten Gebieten (die vor dem 8. Mai 1945 geboren worden sind), ehemalige KZ- und Ghettohäftlinge und sowjetische Kriegsgefangene, ehemalige Zwangsarbeiter:innen (sowohl diejenigen, die nach Deutschland deportiert worden sind, als auch die im jeweiligen Land Zwangsarbeit leisten mussten), Überlebende der Leningrader Blockade oder der verbrannten Dörfer, sowie die vor der Befreiung geborenen Kinder der Verfolgten.

Kaum Raum für individuelle Aufarbeitung

Für die meisten Überlebenden nationalsozialistischer Verfolgung war es nicht einfach, in der Nachkriegszeit wieder Fuß zu fassen – weder beruflich noch gesellschaftlich. Nur die wenigsten hatten Gelegenheit, ihre traumatischen Erfahrungen aufzuarbeiten. Es gab kaum so etwas wie eine psychologische Betreuung. Auch wollte die Nachkriegsgesellschaft – allen voran in Deutschland – nichts von den Opfern und ihrem Leid wissen. Häufig, wie im Falle der Sint:ize und Rom:nja, wurden ihnen eine Anerkennung als Opfer des Nationalsozialismus und damit auch Entschädigungszahlungen verweigert. Überlebende der nach Deutschland verschleppten sowjetischen Zwangsarbeiter:innen etwa wurden mit Misstrauen behandelt, galten sie doch als Verräter:innen, die für den Feind gearbeitet hatten. Statt Unterstützung zu erfahren, waren sie erneuter Repression und Verfolgung ausgesetzt.

Von der Nachkriegsgesellschaft an den Rand gedrängt

Auch die Überlebenden selbst, oft aus Scham darüber, dass sie – im Gegensatz zu ihren Familienangehörigen – die Verfolgung überlebt hatten, hüllten sich in Schweigen und kapselten sich von ihrer Umgebung ab. Das führte dazu, dass viele der Überlebenden – oft jahrzehntelang – auf sich allein gestellt blieben. Dabei hätten sie dringend Unterstützung benötigt, auch materieller Art, um sich ein neues Leben aufbauen zu können. Stark traumatisiert, oftmals von den Nationalsozialisten ihrer Familien sowie ihres Hab und Guts beraubt, mussten viele der Überlebenden nach 1945 gänzlich von vorne anfangen und für das erlittene Leid einen hohen Preis bezahlen: Armut, mangelnde gesellschaftliche Teilhabe und Einsamkeit.

Einen würdigen Lebensabend ermöglichen

Die Stiftung EVZ engagiert sich seit ihrer Gründung im Jahr 2000 dafür, dass Überlebende nationalsozialistischer Verfolgung ein besseres Leben haben und in Würde altern können. So unterstützt sie insbesondere in Mittel- und Osteuropa sowie in Israel Projekte, die Überlebende sozial stärker einbinden und die Erfüllung ihrer Grundbedürfnisse gewährleisten. Sie fördert (Modell-)Projekte für eine angemessene soziale und medizinische Betreuung und stärkt den generationenübergreifenden Dialog. Zudem setzt sich die Stiftung EVZ sozialpolitisch dafür ein, dass Politik und Gesellschaft sich ihrer besonderen Verantwortung für die Belange von Überlebenden der NS-Verfolgung bewusst sind und entsprechend handeln. 

Zukunftsagenda nimmt Überlebende in den Blick

Ihr besonderes Engagement für die Überlebenden hebt die Stiftung EVZ in ihrer im Juni 2021 verabschiedeten Zukunftsagenda hervor. Im dortigen Mission Statement heißt es an erster Stelle: Die Stiftung EVZ „unterstützt Überlebende nationalsozialistischer Verfolgung und stärkt das Engagement ihrer Nachkommen." Primäre Aktivitäten im Cluster „Handeln für Überlebende nationalsozialistischer Verfolgung“ zielen unter anderem auf ein würdiges Altern der Überlebenden, ihre gesellschaftliche Teilhabe oder auf die Aufarbeitung und Anerkennung der NS-Verfolgung ab.

Corona-Pandemie erfordert ein Mehr an Zuwendung und Unterstützung

Die Corona-Pandemie hat die Lebenssituation vieler Überlebender noch weiter verschlechtert. Viele der Hochbetagten verlassen aus Angst vor einer Corona-Infektion ihre Wohnungen nicht mehr, wodurch sie sozial völlig isoliert sind. Projektpartner:innen berichten, dass bei Holocaust-Überlebenden mit psychischen Problemen die soziale Isolation und das Gefühl, dass mit der Pandemie die Welt wieder aus den Fugen gerate, stark retraumatisierend wirken könne.

Angepasste Formate

Geförderte Projekte für Überlebende wurden entsprechend an die coronabedingte Ausnahmesituation angepasst. Darunter fallen telefonische Beratungsangebote, die den Überlebenden und ihren Angehörigen rund um die Uhr zur Verfügung stehen: Etwa zu Fragen rund um die Corona-Impfungen oder notwendigen Hygiene- und Abstandsregeln, neuen digitalen Therapieformaten, Online-Supervisionen und Trainings für das therapeutische Personal oder praktische Anleitungen für Gymnastik und Gedächtnistraining über Social-Media-Kanäle. Zudem kümmern sich die von der Stiftung EVZ geförderten Projektpartner:innen darum, dass die Überlebenden die von der Bundesregierung in 2020 und 2021 beschlossenen Corona-Sonderzahlungen beantragen. Ein Zeugnis dieser Aktivitäten gibt die Social Media-Serie #WeRememberEveryday der Stiftung EVZ.

#EVZgefördert

  • Hausbesuche

    Häusliche Isolation – vor allem unter Corona-Bedingungen – , Vereinsamung, Krankheit: die Herausforderungen bei der Betreuung von Überlebenden der NS-Verfolgung sind groß. Die Prager Organisation Živá paměť bietet 200 Menschen in fünf Regionen soziale und kulturelle Angebote wie Vorträge, Konzertbesuche, Stadtführungen, Gedächtnistrainings, Sprachkurse und Gymnastik und versorgt besonders gebrechliche Menschen in ihrem direkten Wohnumfeld.

  • Koalition aus Rom:nja-Selbstorganisationen in Serbien

    Älteren Rom:nja eine Stimme geben für die Stärkung ihrer Bürger:innenrechte – dieses Ziel hatte eine einjährige Pilotförderung im Programm Latscho Diwes. Mit Erfolg: Eine Publikation zu Rechten älterer Rom:nja wurde erarbeitet und auf zahlreichen öffentlichen Veranstaltungen präsentiert. Gemeinsam wurden geeignete Schritte zur Inklusion älterer Rom:nja entwickelt, so dass mehrere Kommunen in Serbien die Empfehlungen in ihre lokalen Aktionspläne aufgenommen haben. Das Pilotprojekt ist nun in eine neue Förderung der Stiftung EVZ übergegangen.

  • Generationendialog

    Mit der israelischen Organisation für Holocaust-Überlebende, Amcha, verbindet die Stiftung EVZ eine lange Zusammenarbeit. Hier startete 2001 das erste Förderprojekt der Stiftung. Im aktuellen Projekt Generationendialog werden Holocaust-Überlebende mit jungen Freiwilligen an fünf Standorten in Israel zusammengebracht – über Theater, Malerei oder einfach nur Zuhören und Verstehen.

Publikationen